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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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die Tour auf den Tisch legen, und die Atmosphäre am Start im Ort
Bédoin war auch schon wie bei der Tour de France: Fahnen, Zelte, Wimpel und
Gewimmel. Es kursierten eine Menge Gerüchte über Lance, die meisten in
Verbindung mit einem angekündigten Buch von David Walsh, in dem sich neue
Belege dafür finden sollten, dass Lance gedopt habe. Im Postal-Bus herrschte
gespannte Stimmung. Gesenkte Köpfe, Schweigen, um Lance herum gingen alle wie
auf rohen Eiern. Ich sah die angespannten Mienen, die misstrauischen Blicke und
war sehr erleichtert, dass ich nicht mehr dazugehörte.
    Bei uns dagegen war alles ruhig und im grünen Bereich; alle taten
ihre Arbeit, wie es sein sollte. Ich saß auf einem Fahrrad-Prototyp, eigens
kreiert zum Klettern: leicht wie eine Feder, pechschwarz und ohne jedes Logo,
wie ein geheimes Testflugzeug. Damit wärmte ich mich auf der Rolle auf. Man
spürt es, wenn die Dinge gut laufen werden, und so ging es mir jetzt: Meine
Beine waren elastisch und reagierten auf jeden Impuls. Im Zwei-Minuten-Abstand
starteten wir in umgekehrter Rangfolge und fuhren allein den Berg hinauf.
Zuerst Lance. Dann ich. Dann Mayo.
    Die unteren Hänge des Mont Ventoux wollen einfach nicht aufhören,
ein steiler Anstieg durch einen schattigen Kiefernwald. Vor mir hörte ich den
Jubel der Zuschauer, wenn Lance vorbeikam. Ich gab Gas und versuchte den Jubel
näher zu mir heranzuziehen. Dann fuhr ich auf die berühmte Mondlandschaft aus
weißem Gestein hinaus; es war wie ein Aufwachen oder als würde man neu geboren.
Ich fühlte mich gut: Ich ging bis an die Leistungsgrenze und verharrte dort,
dann schob ich noch ein bisschen nach. Das Geschrei der Menge kam jetzt
wirklich näher, und Lance geriet in mein Blickfeld. Er fuhr im Stehen, wie er
es nur tut, wenn er am Limit ist. Ich sah seiner Körpersprache an, dass er
tatsächlich alles gab. Und ich holte auf. Mittels meines Headsets verfolgte ich
meine Zwischenzeiten. Nach zwei Dritteln des Anstiegs hatte ich den Abstand zu
Lance um 40   Sekunden verringert. Ich versuchte mich zu entspannen – es war noch
viel zu früh zum Jubeln – und strengte mich noch mehr an.
    Den Mont Ventoux hinaufzufahren ist eine seltsame Erfahrung,
besonders oben am Gipfel. Ohne Vergleichsmöglichkeit – es gibt dort keine Bäume
oder Gebäude – kann man die Entfernungen nicht richtig einschätzen. Manchmal
kommt es einem vor, als rase man nur so dahin, dann wieder scheint man
stillzustehen. Heute schien ich zu fliegen. Im Hitzeflimmern vor mir sah ich
Lance. Einen Moment lang glaubte ich, ich würde ihn ein- und sogar überholen,
und fast gelang mir das auch. Am Ziel erfuhr ich, dass ich den Mont Ventoux
schneller hinaufgefahren war als jeder andere Radrennfahrer vor mir. Ich hatte
in weniger als einer Stunde 1   :   22   Minuten auf Lance aufgeholt – eine kleine
Ewigkeit. Noch wichtiger aber war, dass fünf meiner Phonak-Kameraden unter die
ersten 13 kamen; die Postal-Jungs hingegen, bis auf Lance, im Mittelfeld
gestrandet waren. [1]
    Am Ziel auf dem Gipfel sah ich Lance kurz: Sein Gesicht war
verkniffen, er hatte ein Handtuch um den Hals geschlungen, sprach mit
niemandem, auch nicht mit mir. Er fuhr langsam zu einem Teamwagen hinüber. Er
sah aus, als fürchte er sich. Er hatte gerade eine neue persönliche Bestzeit am
Ventoux erzielt, und wir hatten ihn dabei in Grund und Boden gefahren. Es waren
nur noch drei Wochen bis zur Tour, und für ihn stand alles auf dem Spiel: die
Möglichkeit seines sechsten Siegs in Folge – das wäre ein Rekord für sich –,
sein Status als größter Tour-Sieger aller Zeiten, ganz zu schweigen von den
Millioneneinnahmen an Prämien, die Nike, Oakley, Trek und seine anderen
Sponsoren ihm in Aussicht gestellt hatten. Ich wusste, er würde zurückschlagen;
ich war nur noch nicht sicher, wie.
    Am selben Abend, drei Stunden nach dem Zieleinlauf am Mont
Ventoux, bekam das Phonak-Teammanagement einen Anruf der UCI mit einer äußerst ungewöhnlichen Bitte: Ich solle mich bitte unmittelbar nach
dem Rennen zu einer Sonderbesprechung im Hauptquartier im schweizerischen Aigle
melden.
    Ich war erstaunt und machte mir ein wenig Sorgen. Ich hatte noch nie
gehört, dass ein Fahrer ins Hauptquartier der UCI bestellt worden wäre. Ich kam mir vor wie ein Schüler, der zum Direktor gerufen
wird – Du sollst sofort zu Hein Verbruggen kommen. Die
Frage war, was sie von mir wollten.
    Ich war zwar nervös, aber doch einigermaßen zuversichtlich, dass ich
nicht gesperrt

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