Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
den Fingernägeln abzuschrubben. Ich
bürstete wie wahnsinnig, nicht nur, um selbst nicht aufzufallen, sondern auch,
damit Haven nichts merkte: Ich wollte sie nicht beunruhigen.
Zu Hause schnupperte Tugboat sofort aufgeregt an meiner Hand; er
merkte, dass hier etwas nicht stimmte. Haven fragte nur, wie die Reise gewesen
sei. Nichts Besonderes, meinte ich.
Das Leben in Girona nahm eine neue Wendung, als Lance ohne
Kristin auftauchte und stattdessen seine neue Freundin mitbrachte – Sheryl
Crow. Wir hatten schon gehört, dass Kristin und er sich recht plötzlich hatten
scheiden lassen, aber dass es so schnell gehen würde, hatten wir nicht
erwartet. Sheryl machte einen netten Eindruck; sie wirkte sehr bodenständig,
und Lance war glücklich, so weit wir das sagen konnten.
Wir sahen uns nicht sehr oft, höchstens gelegentlich im Vorbeigehen
im Hauseingang oder vor dem Café gegenüber. Aber wir beobachteten einander
natürlich. Die Radsportmedien waren voller Berichte über das Duell Lance gegen
Tyler; wo man ging und stand, stieß man auf eine Webseite oder einen
Zeitschriftentitel über unseren Showdown bei der Tour de France. In der
Öffentlichkeit trat ich so bescheiden auf wie immer und betonte, ich hoffte
sehr, überhaupt aufs Siegertreppchen zu kommen. Aber im Geheimen, mit meinen
neuen Teamkameraden, gab ich meinen Ehrgeiz zu. Ich zielte höher; ich wollte
das Gelbe Trikot.
Die Saison begann miserabel; dann aber wurden wir besser. Beim
Critérium International wurde ich Zwölfter, bei der Tour du Pays Basque
Vierzehnter, und als ich als Vorjahressieger bei Lüttich–Bastogne–Lüttich
antrat, schaffte ich den neunten Platz. Zuvor hatte ich einen BB genommen. Mit jedem Start fand ich mehr in meine neue
Rolle, wurde direkter und entschlossener. Als wir zum Beispiel fürs
Mannschaftszeitfahren übten und die Jungs nicht dicht genug zusammenblieben,
wurde ich ungeduldig. Mein altes Ich hätte einen Witz gemacht, eine freundliche
Ermahnung angebracht. Jetzt blaffte ich einfach: »Verdammt, Jungs, jetzt reißt
euch zusammen!«
Die Wirkungen zeigten sich bei der Tour de Romandie Ende April, als
unser Team drei der sechs Besten in der Gesamtwertung stellte und ich den Sieg
holte. Wir versammelten uns im Ziel, umarmten uns, lachten, jubelten. Es fühlte
sich phantastisch an – ein Sieg in Postal-Qualität, aber zu unseren eigenen
Bedingungen, errungen mit einem Lächeln statt einer Grimasse.
Unser großes Ziel vor der Tour war allerdings die Dauphiné Libéré,
der letzte wichtige Test vor der Grande Boucle. Die meisten Stars der Szene
würden antreten: Lance, Mayo, Sastre, Leipheimer. Wenn wir hier gut
abschnitten, würde das allen zeigen, dass sie mit Phonak rechnen mussten.
Vor der Dauphiné flog ich mit einer Handvoll Teamkameraden zu einer
Transfusion nach Madrid. Wir hielten das Verfahren so einfach wie möglich: Wir
blieben gleich in unserem Hotel am Flughafen; Ufe und Nick kamen zu uns und
verabreichten uns die BB s in den Hotelzimmern. Es
war seltsam, das alles gemeinsam zu tun, wie in den alten Tagen vor der
Festina-Affäre, als das Doping noch von den Teams organisiert wurde. Es gefiel
mir nicht, dass meine Teamkameraden nun genau wussten, wie ich es anstellte,
und ich wollte nicht wissen, was sie machten. Ich fühlte mich nackt, entblößt.
Aber ich wollte auch ein gutes Rennen fahren, also hielt ich den Mund. Als wir
die BB s intus hatten und Ufe wieder verschwunden
war, fühlten wir uns großartig. Wir traten mit ruhiger Vorfreude zur Dauphiné
an, im sicheren Bewusstsein, dass wir gut abschneiden würden.
Gewöhnlich sah man schon an der Leistung im Prolog, welche Teams
sich auf ein Rennen vorbereitet hatten, und genauso erkannte man auch, welche
Teams vor einem Rennen gerade Blut abgezapft bekommen hatten, weil darunter die
Leistung litt (wie man es zum Beispiel bei der Route du Sud nach meiner ersten
Transfusion im Jahr 2000 dramatisch an mir selbst gesehen hatte). Wir
jedenfalls hatten einen phänomenalen Prolog: fünf Phonak-Fahrer unter den
ersten acht, während die Postal-Fahrer nur Platz 12, 25, 35 und 60 belegten. In
den ersten Tagen des Rennens kam Lance mir besorgt vor. Normalerweise sprach er
während der Etappen mit mir, versuchte mich einzuschüchtern und machte seine
spitzen Bemerkungen. Jetzt wurde ich gezielt ignoriert.
Der große Tag kam mit der vierten Etappe, dem Einzelzeitfahren an
unserem alten Freund, dem Mont Ventoux. An diesem Tag würden wir alle unsere
Trümpfe für
Weitere Kostenlose Bücher