Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
ließ meine Beine zur Ruhe kommen. Ich
rollte an den Straßenrand, neben ein Steinmäuerchen, und stieg zum ersten und
einzigen Mal in meiner Laufbahn vom Rad, obwohl ich hätte noch weiterfahren
können.
Keine Arbeit zu niedrig und keine zu schwer.
Tatsächlich war mir kein Job zu hart. Dieser Job allerdings war mir
auf einmal ein bisschen zu unbedeutend.
An diesem Abend sollte ich meinen zweiten BB von Ufe bekommen. Um ihm die jetzt unnötige Fahrt zu ersparen, rief ich ihn an.
Ich wählte sorgfältig verschleierte Formulierungen, falls jemand mithörte, und
erklärte ihm, dass ich aufgegeben habe und unsere Verabredung zum »Essen« damit
hinfällig sei. Bevor ich den Satz auch nur zu Ende gesprochen hatte, fiel er
mir aber schon aufgeregt und hastig ins Wort.
»Irrsinniges Pech! Alles ist weg, futsch! Tut mir so leid, Mann.«
»Was?«
»Er ist in eine Kontrolle gekommen. Polizei. Musste alles wegwerfen.
Tut mir echt leid, Mann. Wirklich. Ich kann’s selber nicht glauben, das ist so
irrsinnig …«
Ich legte hastig auf, beunruhigt, dass Ufe so offen gesprochen
hatte. Später erklärte er, was er eigentlich gemeint hatte: Der Kurier war in
eine Straßensperre der Polizei geraten und hatte die Blutbeutel in Panik im
Straßengraben entsorgt. Es war mir egal. Schade um den BB ,
aber wir hatten ja noch mehr davon. Ich argwöhnte zuerst nicht, dass mehr als Zufall
dahintersteckte – obwohl ich mich später, als mir ein Freund erzählte, dass
Ullrich dasselbe passiert sei, schon fragte, ob das noch Zufall war.
Ich fuhr nach Hause, um mich zu erholen. Im Fernsehen sah ich ein
paar Minuten der Tour zu. Das Postal-Team, ganz vorne, dominierte die
Spitzengruppe. Alle zusammen, George, Chechu, Floyd, flogen die großen
Steigungen hinauf, der vertraute blaue Güterzug an der Spitze. Es war eine
Demonstration wie in den alten Tagen vor Festina: Ein Team setzte seine Trümpfe
ein, um das Rennen an sich zu reißen. Lance holte sich in dieser letzten Woche
noch eine Reihe von Etappensiegen, auch solche, die er gar nicht brauchte, um
seine Botschaft klarzumachen: Er war immer noch der Chef. Und als ein
italienischer Fahrer namens Filippo Simeoni ihn herausforderte (Simeono hatte
vor Gericht gegen Ferrari ausgesagt und sprach offen über Doping), sorgte er
dafür, dass Simeoni die passende Antwort bekam. Der Italiener riskierte einen
Ausbruch, um eine Etappe zu gewinnen, und Lance jagte ihm – im Gelben Trikot
und höchstpersönlich! – hinterher, um ihn dem Rudel einzuverleiben. Dabei
machte er die bekannte »Halt-die-Schnauze«-Geste.
Kurz gesagt, alles war wieder wie immer. [3]
13
ERWISCHT
Der Leitsatz für meine Generation von Radprofis lautet: Früher oder später wird jeder erwischt.
Wie wahr er ist, zeigt sich beim Blick zurück:
Roberto
Heras: 2005
Jan
Ullrich: 2006
Ivan
Basso: 2006
Joseba
Beloki: 2006
Floyd
Landis: 2006
Alexander
Winokurow: 2007
Iban
Mayo: 2007
Alberto Contador: 2010
Und so weiter. Das liegt nicht daran, dass sich die Tester
plötzlich zu Genies entwickelten, wenngleich sie dazulernten. Ich glaube, es
hat mehr damit zu tun, wie Chancen sich auf lange Sicht entwickeln. Je länger
man Verstecken spielt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man einen
Fehler begeht oder dass die anderen einmal Glück haben. Es ist wirklich
unvermeidlich, und vielleicht war es von Anfang an unvermeidlich. Vielleicht
hätte ich es kommen sehen sollen. Aber so ist es nun einmal mit dem Schicksal:
Am Ende kommt es dann doch stets überraschend.
Als ich nach Girona zurückkehrte, nachdem die Tour 2004 durch meinen
Sturz für mich deutlich kürzer ausgefallen war, nahm ich das Zeitfahren bei den
Olympischen Spielen ins Visier. Die im August anstehenden Spiele von Athen
waren meine Chance, dieses Wettkampfjahr für mich zu retten. Ein paar Wochen
lang ruhte ich mich aus, kurierte meinen Rücken aus, ordnete meine Gedanken.
Die Olympischen Spiele haben mir immer viel bedeutet, vielleicht ist das der alte
Skirennfahrer in mir (schon beim Hören der Olympia-Hymne bekomme ich
Gänsehaut).
Ich tauchte ein in die gewohnte Prozedur, trainierte exzessiv,
verbrachte Tag um Tag auf der Zeitfahrmaschine. Ich vergaß auch Edgar nicht,
schraubte meine Werte hoch und ließ mich zusätzlich vom Gedanken motivieren,
dass ich auch im zu erwartenden Weltklassefeld einen gewichtigen Vorteil haben
würde: Ich trat gegen Fahrer an, die nach der Tour erschöpft waren.
Beim olympischen Rennen herrschte eine Bruthitze. Es
Weitere Kostenlose Bücher