Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
daran, dass
sie sich zu ähnlich waren. Weisel hatte Armstrong ziehen lassen; drei Jahre später
wurde Armstrong Weltmeister – einer der seltenen Fälle, bei denen Weisel
seine Gefühle über seine Geschäftsinteressen stellte.
Weisel erzählte mir, dass er noch andere gute amerikanische Fahrer – Darren Baker, Marty Jemison und Nate Reiss – verpflichtet und Eddie B. als
Trainer angeheuert habe. Das Team sollte Montgomery-Bell heißen. Wie viel ich
in einem Jahr verdienen wolle, wollte er wissen. Ich zögerte. Wenn ich zu viel
verlangte, wäre ich den Job gleich wieder los. Aber ich wollte mich auch nicht unter
Wert verkaufen. Deshalb entschied ich mich für die goldene Mitte.
Dreißigtausend Dollar.
»Abgemacht«, knurrte Weisel. Ich bedankte mich überschwänglich und
legte den Hörer auf. Ich rief meine Eltern an und erzählte ihnen die Neuigkeit:
Jetzt war ich offiziell Radprofi.
Im ersten Jahr des Weisel-Experiments lief es ziemlich gut. 1995
nahmen wir vor allem an Rennen in den Staaten teil und reisten nur zu ein paar
kleineren Events nach Europa. Das Team war gemischt: Es bestand vorwiegend aus
jüngeren Amerikanern und aus ein paar mittelmäßigen europäischen Fahrern.
Obwohl Eddie B. manchmal ziemlich planlos war (durch das ständige Hin und Her
von einem Rennen zum anderen ging viel Zeit verloren; der Terminplan für die
Rennen änderte sich andauernd), machte das verrückte Leben Spaß und schweißte
das Team enger zusammen, und außerdem kannten es die meisten von uns gar nicht
anders. Eines Nachmittags verabreichte mir ein Soigneur (Teamhelfer) meine
erste Injektion. Es war völlig legal – Eisen und Vitamin B –, aber auch ein
wenig entnervend, zusehen zu müssen, wie einem eine Nadel in den Hintern
gestochen wurde. Das sei für meine Gesundheit, erklärte man mir, weil ich nach
all den Rennen erschöpft sei. Schließlich sei Radrennen der härteste Sport der
Welt; er brächte einen aus dem Gleichgewicht, und die Vitamine würden das, was
der Körper verloren hat, ersetzen. Wie bei Astronauten.
Zudem hatten wir Fahrer uns um weit wichtigere Dinge zu kümmern. Wir
wetteiferten untereinander, wer Eddie B.s polnischen Akzent am besten
nachmachen konnte. Zum Beispiel setzte Eddie alle Verben in den Plural: Ihr müssen jetzt angreifen! Ihr müssen jetzt angreifen! Weisel war bei großen Rennen immer dabei, fast wie ein zweiter Trainer. Wenn
wir gewannen, hatte er vor Freude Tränen in den Augen und umarmte jeden, als ob
wir gerade den Sieg bei der Tour de France eingefahren hätten. Vermutlich
brachte ich ihn zum Weinen, als wir zur Teleflex-Tour, einem kleinen Rennen in
Holland, reisten und ich Gesamtsieger wurde. Es war nicht das größte Rennen der
Welt, aber es fühlte sich gut an – ein weiteres Zeichen dafür, dass ich zu
diesem Sport gehörte. Außerdem brauchte ich das Geld: Ich hatte ein Haus in
Nederland, Colorado, einem verschlafenen Städtchen in der Nähe von Boulder, im
Auge. Das Haus war nichts Besonderes, gerade mal 140 Quadratmeter Wohnfläche,
mit einer kleinen Veranda, von der aus ich die Berge sehen konnte. Aber für
mich bedeutete es Beständigkeit; ein Zuhause, das mir gehörte.
Anfang 1996 engagierte Weisel den ehemaligen olympischen
Goldmedaillengewinner Mark Gorski als Manager. Nach ein paar Monaten verkündete
Gorski die große Neuigkeit: US Postal Service hatte
einem Dreijahresvertrag als Titelsponsor des Teams zugestimmt, und mit dem
gestiegenen Etat konnte das Team wachsen. Weisel und Gorski stockten die
Mannschaftsliste mit jüngeren Fahrern auf und krönten sie mit Andy Hampsten,
dem fähigsten amerikanischen Radprofi neben Greg LeMond. Hampsten hatte den
Giro d’Italia, die Tour de Suisse und die Tour de Romandie gewonnen.
Der Plan für die Saison 1996/97 sah vor, Postals Qualifikation für
Europa zu erreichen. Wir wollten öfter an großen Rennen teilnehmen, um dann
hoffentlich 1997 eine Einladung zur, wie Weisel sie nannte, Tour de Fucking
France zu erhalten. Weisels Entschlossenheit nährte unsere Erwartungen. Wir
steckten voller Optimismus und Energie, vor allem mit Hampsten als Kapitän. Im
Frühjahr ’96 flogen wir mit großen Erwartungen nach Europa. Wir wussten, dass
es schwer werden würde, aber irgendwie würden wir es schon schaffen.
Wir hatten ja keine Ahnung.
2
DIE WIRKLICHKEIT
Zuerst redeten wir uns ein, es sei der Jetlag. Dann war es
das Wetter. Dann das Essen. Unsere Horoskope. Alles war recht, um nicht der
Wahrheit über den Auftritt
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