Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Steroiden gehört (was mich damals
verwirrte, weil Radsportler keine Muskelprotze sind), hatte Geschichten von
Fahrern vernommen, die Amphetamine schluckten, von Spritzen, die in
Trikottaschen versteckt waren. Und in jüngerer Zeit hatte ich von Erythropoietin, EPO , gehört, dem Blutaufbau-Hormon, das, so sagten
manche Leute, die Ausdauerfähigkeit um 20 Prozent verbesserte, weil es den
Körper dazu bewegte, mehr Sauerstoff transportierende rote Blutkörperchen zu
produzieren. [1]
Die Gerüchte beeindruckten mich nicht so sehr wie das Tempo – das
nie nachlassende, brutale, mechanische Tempo. Ich war nicht der Einzige. Andy
Hampsten brachte dieselbe körperliche Leistung wie in den vergangenen Jahren – den Jahren, in denen er große Rennen gewonnen hatte. Jetzt hatte er, mit
denselben Leistungswerten, erhebliche Mühe, sich unter den ersten fünfzig zu
halten. Hampsten war ein entschiedener Doping-Gegner, er beendete kurz darauf
im Alter von 32 Jahren seine Radfahrerkarriere, statt mitzudopen. Er hat einen
klaren Blick auf das, was sich da abspielte.
ANDY HAMPSTEN : Mitte der achtziger
Jahre, als ich meine Laufbahn begann, gab es Fahrer, die dopten, aber man
konnte sich noch gegen sie behaupten. Sie nahmen entweder Amphetamine oder
Anabolika – beide Substanzen hatten eine starke Wirkung, aber auch
Nachteile. Amphetamine machten die Fahrer dumm – sie starteten diese
verrückten Attacken, bei denen sie ihre ganze Energie verpulverten. Durch
Anabolika wurden die Typen aufgeschwemmt, schwer, langfristig auch verletzungsanfälliger,
von den schrecklichen Hautausschlägen ganz zu schweigen. Bei kühlem Wetter oder
in kürzeren Rennen fuhren sie superstark, aber in einem langen, heißen
Etappenrennen zogen Anabolika sie runter. Unterm Strich war ein sauberer Fahrer
bei den großen dreiwöchigen Rennen noch konkurrenzfähig.
Durch EPO wurde alles anders.
Amphetamine und Anabolika sind nichts im Vergleich zu EPO .
Schlagartig wurden ganze Teams irre schnell, und ich hatte plötzlich Mühe, im
Zeitlimit zu bleiben. 1994 wurde die Situation allmählich lächerlich. Auf den
Bergstrecken ackerte ich so hart wie immer, hatte dieselbe Kraft bei konstantem
Gewicht, doch neben mir fuhren plötzlich Typen mit großen Hintern und
plauderten, als wären wir bei einer Flachetappe! Es war total verrückt. [2]
In der Saison [1996] herrschte bei den gemeinsamen Abendessen
eine solche Anspannung – alle wussten, was los war, alle redeten über EPO , alle erkannten das Menetekel. Und alle schauten auf
mich und erwarteten, dass ich ihnen zeigte, wo’s langging. Aber was konnte ich
sagen?
Niemand geht in den Radsport mit dem Wunsch zu dopen. Wir
lieben unseren Sport gerade wegen seiner klaren Struktur. Da gibt es nur dich,
dein Rad, die Straße, das Rennen. Und wenn du in diese Welt eintauchst und
spürst, dass dort gedopt wird, reagierst du instinktiv, indem du die Augen
verschließt, dir die Ohren zuhältst und noch härter arbeitest. Du verlässt dich
auf das alte Mysterium des Radrennsports – bis an die Grenze gehen und dann
noch mal eine Steigerung versuchen, denn heute könnte es vielleicht besser
laufen. Ich weiß, das klingt komisch, aber die Vorstellung, dass andere dopten,
wirkte auf mich zunächst sogar motivierend. Ich kam mir so nobel vor, weil ich
sauber war. Ich würde durchhalten, meine Reinheit würde mich stärken. Keine
Arbeit zu niedrig und keine zu hart.
Es war einfach, sich an diese Einstellung zu klammern, weil über
Doping schlicht nicht gesprochen wurde – jedenfalls nicht von offizieller
Seite. Beim Abendessen oder auf Trainingstouren unterhielten wir uns im Flüsterton
darüber, aber nie mit unseren Sportlichen Leitern, dem Management oder den
Ärzten. In irgendeiner ausländischen Zeitung erschien hin und wieder vielleicht
ein Artikel und sorgte kurz für Aufregung, aber die meiste Zeit taten alle so,
als wären diese wahnwitzigen Renngeschwindigkeiten völlig normal. Es war gerade
so, als würde man jemandem dabei zusehen, wie der lässig und mit einer Hand
eine 450-Kilo-Hantel stemmt, und alle anderen benähmen sich, als wäre dies ein
ganz normaler Tag im Büro.
Wir mussten unsere Bedenken dennoch äußern. Marty Jemison und ich – diese Geschichte wird oft erzählt – sprachen 1996 den Postal-Mannschaftsarzt
Prentice Steffen an und unterhielten uns mit ihm darüber, in welchem Tempo die
Rennen gefahren wurden. Steffen sagt heute, Marty habe angedeutet, das Team
solle ein paar dieser
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