Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
so einfach ausbreiten zu
können. Den ganzen Herbst über sagte ich immer wieder dasselbe, jedes Mal ein
bisschen überzeugter, wenn mich meine Freunde nach Festina fragten: Wenn ich je dieses Zeug nehmen muss, um mithalten zu können,
steige ich aus. Es war ein gutes Gefühl, das zu sagen, und die Lüge fiel
jedes Mal leichter. Alle wollten ja gern glauben, dass ich sauber war, und ich
eigentlich auch.
Als ich diesen Satz zu meinem Vater sagte, verschloss ich mein Leben
als Radprofi hinter einer dicken Stahltür. In diesem Augenblick lernte ich, was
wir alle lernen mussten: gleichzeitig in zwei Welten zu leben. Nur Haven und
ich kannten die Wahrheit. Und während ich meinem Vater versicherte, alles sei
in Ordnung, wusste ich auch schon, dass ich noch viel, viel weiter gehen würde.
Auf dem Postal-Festbankett nach der Tour in Paris hatte sich intern
bereits herumgesprochen, dass die Teams nach dem Festina-Fiasko ihren Fahrern
kein EPO oder andere Mittel mehr besorgen konnten.
Das Postal-Team würde gegebenenfalls zwar alle juristischen Kosten übernehmen,
aber ansonsten seien wir jetzt auf uns selbst gestellt. Ich begriff die
Botschaft sofort. Eine neue Ära brach an.
5
GEBORENE VERLIERER
Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht nicht so, aber
Radsport ist ein absoluter Mannschaftssport. Der Kapitän ist nichts ohne seine
Teamkollegen – die sogenannten Wasserträger –, die ihre ganze Kraft einsetzen,
um ihn vor Gegenwind abzuschirmen, für ihn Tempo zu machen, die Attacken der
Konkurrenz abwehren und ihm Wasser und Essen bringen. Ein wenig weiter im
Hintergrund gibt es noch eine zweite Ebene von Helfern: den Teamleiter, die
Betreuer, die Mechaniker und Fahrer der Teamfahrzeuge, ein ganzes Netzwerk von
Menschen, die alle im Wesentlichen einem einzigen Ziel verpflichtet sind. Jedes
Radrennen ist eine Übung in Kooperation. Das heißt, wenn alles gut läuft,
erlebt man ein unvergleichliches Hochgefühl, ein Gefühl von Zusammenhalt und
Bruderschaft. Alle für einen, einer für alle.
Ich bin für etliche Mannschaften gefahren, doch nirgendwo lieber als
für das Postal-Team von 1999. Nicht wegen der bemerkenswerten Erfolge, die wir
zusammen erreichten, sondern weil wir dabei so einen ungeheuren Spaß hatten.
Jetzt, im Rückblick, habe ich allerdings durchaus gemischte Gefühle, was die
Methoden betrifft, die uns den Tour-Sieg einbrachten.
Aber ich will nicht leugnen, dass es einfach toll war, Teil dieser
Mannschaft gewesen zu sein, denn erstens tat das Postal-Team nichts, was nicht
auch andere gute Teams hätten tun können, und zweitens hatten wir absolut
nichts zu verlieren.
Wir hatten Frankie Andreu, unseren Feldmarschall mit seiner heiseren
Ajax-Stimme, die man noch in 100 Meter Entfernung hörte. Wir hatten George
Hincapie, meinen stillen Zimmergenossen aus Girona, der zu einem der stärksten
Fahrer der Welt heranreifte.
Wir hatten Kevin Livingston, frisch vom Cofidis-Team zu uns
gestoßen, der als Tempomacher agierte, und zwar auf dem Rad ebenso wie in der
Gruppe. Kevin war ein exzellenter Bergfahrer und ein nicht weniger exzellenter
Spaßmacher. Ich habe selten mehr gelacht als mit Kevin, wenn wir zusammen ein
Bier trinken gingen – er konnte wirklich jeden im Team täuschend echt nachahmen
(sogar Lance, aber damit hielt er sich klugerweise zurück). Im Rennen spielte
Kevin dann seine überaus wichtige Fähigkeit aus, sich selbst »ins Grab zu
schaufeln«, das heißt, sich für einen Teamkameraden bis zum Kollaps und darüber
hinaus zu verausgaben, besonders wenn es dabei um Lance ging. Kevins Beziehung
zu Lance reichte weit zurück: Als Lance sich von der Chemotherapie erholt
hatte, war Kevin sein erster Trainingspartner.
Wir hatten Jonathan Vaughters, einen echten Computerfreak. Hätte
Bill Gates sich für eine Karriere als Radprofi entschieden, wäre er vielleicht
wie Jonathan geworden. Jonathan war ungeheuer schlau und talentiert – und im
Team für vier Eigenschaften bekannt: (1) seine Qualitäten als Bergfahrer; (2) seine unglaublich chaotischen Hotelzimmer, die stets aussahen, als wäre darin
eine Waschmaschine explodiert; (3) seine noch unglaublicheren Darmwinde,
Resultat der Proteindrinks, die er ständig trank; und (4) seine Neigung,
unbequeme Fragen zu stellen, besonders, wenn es um Doping ging. Wir anderen
taten brav alles, was der Doktor sagte, aber Jonathan las
sportwissenschaftliche Fachbücher und entwarf seine eigenen Trainingsprogramme.
Er forschte ständig nach: Woher
Weitere Kostenlose Bücher