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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

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Autoren: Tyler Hamilton
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Pantani,
ansonsten dominierte die französische Cofidis-Equipe, deren Fahrer drei der
sieben vorderen Plätze belegten. Bobby Julich wurde Dritter. Cofidis’ Erfolg
löste Gerüchte aus, die Mannschaft habe weiter EPO genommen, nachdem alle anderen keins mehr hatten; doch nichts davon wurde je
bewiesen. Wir anderen fuhren auf paniagua, kämpften uns durch und überlebten. [3]
    Mitten in diesem ganzen Tohuwabohu kam ich zu meinem großen Moment,
und im Nachhinein erkenne ich, wie sehr er mich verändert hat. Am 18.   Juli, dem
Tag nach dem Ausschluss des Festina-Teams, fuhren wir die erste wirklich
schwere Etappe dieser Tour: ein 58   Kilometer langes Einzelzeitfahren in
Corrèze – ein gnadenloser Kurs mit einem Profil, gezackt wie
Haifischzähne. Auf derartigen Parcours sind die eher groß gewachsenen, bulligen
Fahrer im Vorteil, weniger solche Leichtgewichte wie ich. Selbst in der eigenen
Mannschaft gab man mir kaum Chancen. Jedenfalls schickte man mir nicht einmal
ein Begleitfahrzeug hinterher, aus dem ich im Fall eines Defekts hätte Hilfe
erhalten können. Ich war stinksauer, hielt aber den Mund. Lieber ließ ich meine
Beine sprechen.
    Und diese Beine sprachen dann nicht nur – sie sangen sogar! Ich
überschritt meine normalen Leistungsgrenzen, kam wieder mal an die vertraute
alte Mauer und – fand dort plötzlich einen Extragang, eine neue Übersetzung.
Jedenfalls überholte ich einen Fahrer nach dem anderen, ließ sie förmlich
stehen. Ich raste der Ziellinie entgegen, sah, tief in der Sauerstoffschuld,
längst schwarze Punkte vor den Augen. Als die sich wieder verzogen, hatte ich
sämtliche Fahrer der Tour de France geschlagen – nur einen nicht, den deutschen
Wunderknaben Jan Ullrich. Die Kommentatoren waren außer sich, und ich war fast
genauso überrascht wie sie: ich auf dem zweiten Platz der härtesten Etappe der
Tour. Unglaublich!
    Am Abend bekam ich Besuch von Pedro. Er war ganz Stolz und Freude,
seine Augen leuchteten. Mehr als jeder andere verstand er die wahre Bedeutung
meiner Leistung. Im Radsport nennt man so etwas »Durchbruch« – das Rennen, bei
dem sich zeigt, dass jemand das Zeug zum Champion hat. Pedro sagte mir, heute
sei der Tag meines Durchbruchs gewesen und, noch besser, ich hätte es mit einem
Hämatokritwert von lediglich 44 geschafft.
    Vierundvierzig! Er wiederholte es
mehrfach. Diese Zahl elektrisierte ihn, weil er an ihr erkannte, wie schnell
ich hätte sein können – und wieder werden konnte –,
wenn ich nur noch ein wenig professioneller würde. Dann legte er mir väterlich
die Hand auf die Schulter und sagte etwas, das mein Leben veränderte.
    »Eines Tages gewinnst du die Tour de France.«
    Ich lachte und sagte, das sei doch Unsinn. Aber Pedro meinte es
ernst. Ich könne die Tour gewinnen. Nicht dieses Jahr und auch noch nicht
nächstes. Aber irgendwann danach. Er sagte es mit seiner erprobten, absolute
Sicherheit ausstrahlenden Arztstimme.
    »Du kannst Zeitfahren gewinnen, du bist gut am Berg, und du machst
weiter, wenn alle anderen aufgeben. Hör mir zu, Tyler. Denk daran, ich habe
viele, viele Fahrer erlebt, aber du hast etwas Besonderes an dir, Tyler. Du
bist ein ganz besonderer Fahrer.«
    Im Herbst, zu Saisonende, kehrte ich in die USA zurück. Einige Monate später heirateten Haven und
ich. In dieser Rennpause kam hin und wieder auch das Thema Doping auf. Viele Leute
hatten von der Festina-Affäre gehört und wollten gerne wissen, wie es wirklich
gewesen war. Ich antwortete dann meistens, die Geschichte sei völlig
übertrieben worden, es gebe sicher ein paar faule Äpfel, aber die seien jetzt
aussortiert. Ich sagte ihnen, ich sei sogar dankbar für den Skandal, weil er
uns anderen, die sauber fahren wollten, eigentlich nur half.
    Eines Nachmittags kam dann mein Vater damit an. Er setzte sich zu
mir und fragte mich nach Festina. Mein Vater ist ein kluger Mann; er wusste, dass
man diese Affäre nicht so einfach abhaken konnte. Er ließ keinen Zweifel daran,
dass er mich davor schützen wollte, in eine kriminelle Szene zu geraten, aus
der es irgendwann vielleicht kein Entkommen mehr gab.
    Ich zögerte keinen Moment.
    »Dad, wenn ich dieses Zeug je nehmen muss, um mithalten zu können,
steige ich aus.«
    Ich hatte es mir schwierig vorgestellt, meinen Vater anzulügen, aber
es ging ganz leicht. Ich blickte ihm in die Augen, die Worte kamen so
selbstverständlich, dass ich mich schäme, wenn ich nur daran denke. Die
Wahrheit schien eben viel zu kompliziert, um sie

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