Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
die Ampullen standen aufrecht wie kleine Soldaten in ihren Pappfächern. Ich
fand es erstaunlich, dass Lance so offen damit umging. Wenn ich in Girona EPO in meinem Kühlschrank aufbewahrt hatte, nahm ich es
immer aus dem Karton, wickelte es in Folie und versteckte es ganz hinten. Aber
Lance schien das egal zu sein. Ich dachte mir, er werde schon wissen, was er
tue, nahm eine Ampulle heraus und bedankte mich.
Ich musste jetzt in Topform sein, denn die nächsten Wochen würden
nicht leicht werden. Das Postal-Team war von Lance nach seinen Vorstellungen
umgebaut worden und konzentrierte sich jetzt ganz auf die Tour. Teamleiter
Johnny Weltz war durch Lance’ Wunschkandidaten ersetzt worden, einen gewitzten
Exprofi aus Belgien namens Johan Bruyneel. Johan brachte ideale Voraussetzungen
mit: Früher war er für das geniale spanische ONCE -Team
gefahren und kannte dessen System von innen. Johan war genauso schlitzohrig und
detailversessen wie Lance; von Anfang an konnten sie Sätze beenden, die der
jeweils andere angefangen hatte. Diese Personalveränderung zog weitere nach
sich: Auf Pedro folgte der ehemalige Teamarzt von ONCE ,
ein humorloser, koffeinsüchtiger Doktor aus Valencia namens Luis García del
Moral, der bei uns Fahrern schnell »das Teufelchen« oder »El Gato Negro«
(Schwarze Katze) hieß. Del Morals barsche Art wurde durch das freundliche,
lässige Wesen seines Assistenten Pepe Martí ein wenig ausgeglichen.
Und es änderte sich noch mehr. Das neue System nach der
Festina-Affäre bedeutete, dass wir unser EPO während der Rennen nicht mehr über das Team bekamen, sondern es uns selbst besorgen
mussten. Ich holte es mir in Morals Praxis in Valencia; andere Fahrer fuhren in
die Schweiz und kauften es dort legal und offen in der Apotheke. Laut Theorie
sollte dieses neue System »sicherer« sein und eine Wiederholung der
Festina-Affäre verhindern. Mir kam es eher gefährlicher vor, weil das Risiko
beim Einschmuggeln jetzt ganz auf die Fahrer abgewälzt wurde – und natürlich
auch die Kosten. Das passte mir nicht – noch eine lästige Aufgabe, um die ich
mich kümmern musste. Aber ich erledigte sie. Am 25. Mai fuhr ich nach Valencia
und holte mir 20 000 Einheiten – genug für ein paar Monate –, die etwa 2000
Dollar kosteten.
Drängender noch waren andere Fragen. Uns blieben nur noch sechs
Wochen bis zur Tour. Würde Lance fit genug sein, um zu starten? Würde das Team
stark genug sein, um ihn zu unterstützen? Und dann noch, unausgesprochen, eine
weitere Frage: Würden wir es riskieren, Edgar mit in die Rundfahrt zu nehmen? EPO in Mannschaftsfahrzeugen zu verstecken kam nicht mehr
infrage, aber jeder Fahrer, der es während des Rennens bekommen konnte, würde,
wie wir aus dem vergangenen Jahr wussten, einen enormen Vorteil genießen.
Hier kam Philippe ins Spiel.
Wir standen alle bei Lance in der Küche, als er uns seinen Plan
erklärte: Er würde Philippe engagieren, die Tour auf seinem Motorrad zu
begleiten – mit einer Thermosflasche voller EPO und
einem Mobiltelefon mit anonymer Prepaid-Karte. Sobald wir Edgar brauchten,
würde Philippe sich durch den Tour-Tross schlängeln und eine schnelle Übergabe
machen. Ganz einfach. Ganz schnell. Rein und wieder raus. Kein Risiko. Um nicht
aufzufallen, würde Philippe nicht alle neun Fahrer versorgen, sondern nur die
Kletterspezialisten, die es am meisten brauchten und davon am meisten
profitieren würden: Lance, Kevin Livingston und mich. [1] Los Amigos del Edgar. Von diesem Moment
an war Philippe nicht mehr einfach der Hausmeister. Lance, Kevin und ich
nannten ihn »Motoman«.
Lance strahlte aus allen Knopflöchern, als er mir diesen Plan
erläuterte – er fand solchen Geheimagentenkram klasse. Außer Johan Bruyneel
würden nur wir drei Bescheid wissen. Die französische Polizei konnte uns den
ganzen Tag lang durchsuchen und würde trotzdem nichts finden. Außerdem waren
wir sicher, dass die meisten anderen Teams sich etwas Ähnliches wie unseren Motoman
ausdenken würden. Warum auch nicht? Lance hatte gerade den Krebs überwunden; er
wollte sich nun nicht zurücklehnen und darauf hoffen, dass alles irgendwie
funktionieren würde. Er wollte dafür sorgen, dass es funktionierte. Er konnte
unmöglich tatenlos herumsitzen, weil er die ganze Zeit nur daran dachte, was
die anderen wohl alles in Bewegung setzen würden. Dieselbe Unrast trieb ihn an,
seine Ausrüstung im Windkanal zu testen, seine Ernährung rigoros zu planen und
im Training
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