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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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der
Setmana Catalunya [der katalanischen Woche] im März 1999, dominierte Marco
Pantani die erste Bergetappe nach Belieben: Er flog die Steilpassagen geradezu
hinauf, fuhr atemberaubend – und Lance war bloß in der Mitte des Feldes. Am
Ziel, kaum im Teamauto, hängte Lance sich sofort an sein Handy und hatte ein
sehr intensives Gespräch mit jemandem darüber, was er tun müsse, um in drei
Monaten bei der Tour schneller als Pantani zu sein. Aber das war kein normales
Gespräch, es fand in einer Geheimsprache statt. Die genauen Formulierungen weiß
ich nicht mehr, aber es klang ungefähr so: »Soll ich diese Woche einen Apfel
essen oder nächste Woche zwei?« Dann legte Lance auf, und ich fragte, wer dran
gewesen sei. Lance antwortete nur: »Geht dich nichts an.« Später habe ich zwei
und zwei zusammengezählt – es musste Ferrari gewesen sein.
    Im Rückblick ist es schon erstaunlich, wie viele zufällige
Faktoren sich bei der Tour de France 1999 zu unseren Gunsten addierten. Und
noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, wie wichtig die Tour von 1999 später
wurde, wie sie die Räder ins Laufen brachte für den Wahnsinn, der danach kam.
Und am verrücktesten ist – das geht mir manchmal noch heute, 15   Jahre später,
durch den Kopf, wenn ich im Bett liege –, dass all das um ein Haar gar nicht
passiert wäre.
    Am 3.   Juli brachen wir zum Prolog der Tour de France auf, und es war
nicht schwer zu erkennen, welches Team hier die Rolle des Underdogs spielte.
Überall um uns herum standen Busse von Teams wie ONCE ,
Banesto und Telekom, die aussahen wie Tourbusse von Rockstars, voll
ausstaffiert mit Sofas, Halogenbeleuchtung, Stereoanlagen, Fernsehern, Duschen
und Espressomaschinen.
    Wir dagegen waren sofort als die geborenen Verlierer auszumachen.
Wir hatten zwei der schrottigsten Wohnmobile des ganzen Kontinents. Eines war
gemietet; das andere gehörte Julien DeVriese, dem schrulligen Chefmechaniker
des Postal-Teams. Wir nannten es »Chitty Chitty Bang Bang«, weil während der
Fahrt alles daran klapperte. In jeder Kurve flogen die Schranktüren auf, die
Scharniere quietschten zum Gotterbarmen. Die Kiste war so laut, dass man sich
während der Fahrt kaum unterhalten konnte. Julien hatte eine eiserne Regel: Nicht im Wohnmobil scheißen. Da verstand er keinen Spaß.
Wir merkten es deutlich, weil er jedes Mal, wenn wir ihn nur sahen, seinen
dicken Zeigefinger auf uns richtete und mit rauer Stimme erklärte: »Nicht im
Wohnmobil scheißen!« Wir eröffneten ihm daraufhin, seine Schrottkiste könne
doch nur gewinnen, wenn man hineinschiss.
    Ich selbst konnte mich eigentlich nicht beklagen, weil ich dem
vergleichsweise besseren Wohnmobil zugeteilt war. Besser deshalb, weil nur drei
Fahrer darin wohnten – Lance, Kevin und ich –, dazu noch ein Chauffeur. Im
schlechteren Wohnmobil drängten sich die restlichen sechs Mitglieder des
Postal-Teams wie Collegestudenten beim Rekordversuch in einer Telefonzelle. Der
Grund für diese Aufteilung war Motoman: Lance, Kevin und ich sollten als
einzige unseres Teams während der Tour EPO bekommen, also war es sinnvoll, wenn die Amigos del Edgar ein wenig
Privatsphäre hatten. »Sauberer«, nannte Lance es. Wir redeten natürlich nicht
darüber, aber die anderen merkten schon, dass da was im Busch war.
    Trotz der miesen Fahrzeuge hatten wir ein immer besseres Vorgefühl,
was die Tour anging. Schon in der Vorbereitungsphase erreichten uns fast
wöchentlich neue Überraschungsnachrichten über unsere Konkurrenten.
    –   Schon im Januar
testete der französische Radsportverband die Blutprofile seiner Fahrer; die
Prozedur hieß »Längsschnitt« und bedeutete hauptsächlich, dass es für die
Franzosen schwieriger sein würde, unentdeckt EPO zu
nehmen.
    –   Im Mai wurde
der belgische Radsportstar Frank Vandenbroucke wegen des Ankaufs von
Medikamenten gesperrt.
    –   Im Juni wurde
Marco Pantani, der Vorjahressieger der Tour de France und einer der Fahrer, die
Lance am meisten fürchtete, kurz vor seinem zweiten Sieg im Giro d’Italia wegen
Überschreitung des Hämatokritwerts von 50 Prozent gesperrt.
    –   Mitte Juni
erschien im Nachrichtenmagazin Der Spiegel ein Enthüllungsbericht
über Dopingpraktiken im größten deutschen Radrennstall, dem Team Telekom, für
das auch Bjarne Riis und Jan Ullrich fuhren. Der Artikel brachte ausführliche
Einzelheiten bis hin zu Trainingsplänen ( EPO hieß
bei Telekom »Vitamin E « und kostete viel weniger
als bei uns – sie bezahlten nur

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