Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
uns Tour und Karriere kosten, das
Team ruinieren und uns womöglich in ein französisches Gefängnis bringen konnte.
Waren die Spritzen einmal in der Dose, zerknüllten und verbeulten wir sie,
damit sie richtig nach Abfall aussah; del Moral verstaute sie ganz unten in
seinem Rucksack, setzte seine Pilotenbrille auf, öffnete die windige Tür des
Wohnmobils und ging durch die Knäuel von Fans, Journalisten, Funktionären und
sogar Polizisten, die sich um den Bus drängten, einfach davon. Alle wollten
Lance sehen. Keiner achtete auf den unauffälligen Typen mit dem Rucksack, der
unsichtbar zwischen ihnen verschwand.
Im Zeitfahren der achten Etappe schlug Lance sich gut und gewann mit
fast einer Minute Vorsprung vor Zülle (ich war auch nicht schlecht – fünfter
Platz). Aber alle warteten auf die neunte Etappe – den Aufstieg nach Sestriere.
Die erste große Bergetappe der Tour ist jedes Mal eine Art Coming-out-Party,
der Augenblick, in dem die Rundfahrt wirklich beginnt. Alle schauen hin, wenn
die Sieganwärter ihre Karten endlich auf den Tisch legen.
Der Morgen war kalt und regnerisch. Im ersten Teil der Etappe gab es
zahlreiche Ausreißversuche; alle versuchten sich ins Bild zu setzen. Frankie
leistete exzellente Arbeit als Kontrolleur – er behielt potenzielle Ausreißer
permanent im Blick und stellte sicher, dass kein Favorit etwa das Weite suchte.
Wir schützten Lance, so lange wir konnten, dann ließen wir uns zurückfallen und
ihn mit der Spitzengruppe allein. Einige Fahrer brachen unerwartet aus;
Escartín und Gotti, die allgemein als die Top-Bergspezialisten galten, setzten
nach. Der weitere Ablauf schien klar: Lance hatte sich gut gehalten, aber jetzt
war die Zeit für die echten Kletterkönige gekommen. Und hier hatten Escartín
oder Gotti sicher die besten Karten.
Etwa acht Kilometer vor dem Ziel geschah dann das Unerwartete: Lance
griff an, überholte Escartín und Gotti und donnerte allein los, um sich den
Etappensieg zu sichern. Ich wusste, er fuhr wie vom Teufel gehetzt, weit vor
mir hörte ich das Brausen der aufgeregten Menge. Johan und Thom Weisel
schickten ekstatische Schreie über den Teamfunk. Doch erst am Abend, als ich
die Höhepunkte der Etappe im Fernsehen sah, begriff ich, wie unwiderstehlich
Lance da angetreten hatte.
»Armstrong passierte sie, als wären sie auf der Stelle stehen
geblieben!«, rief Kommentator Paul Sherwen. Lance’ Angriff auf Escartín und
Gotti war umso eindrucksvoller, weil er ihn nicht im Stehen lanciert hatte, wie
man es bei einer Attacke meist macht, sondern im Sitzen. Sein Rhythmus änderte
sich kaum, er wurde nur immer schneller, während er seine monströse Übersetzung
knetete. Und die anderen fielen zurück wie trockenes Herbstlaub. Ich wusste,
wie stark Lance war, schließlich hatten wir täglich nebeneinander trainiert.
Aber hier wurde auch ich aufmerksam, so wie eine Menge anderer Leute. Das war
ein neuer Lance, einer, den ich noch nicht kannte. Er hatte eine neue Dimension
erreicht.
Sofort meldeten sich die Zweifler. Später hörten wir, dass ein paar
alte Hasen unter den Reportern im Pressezentrum laut gelacht hatten, als Lance
seinen Vorstoß lancierte – nicht aus Bewunderung, sondern weil er ihrer Ansicht
nach so offensichtlich gedopt wirkte. Die Medienberichte am nächsten Tag
beschrieben Lance als »Außerirdischen«, das Codewort der Presse für einen
gedopten Fahrer. Die Sportzeitung L’Équipe schrieb,
Armstrong sei »sur une autre planète« – auf einem
anderen Planeten.
Es kam noch schlimmer. Die Tageszeitung Le Monde enthüllte,
Lance sei nach dem Prolog positiv auf Cortison getestet worden, was einen
kurzen, aber sehr intensiven Sturm der Entrüstung auslöste, und zwar nicht nur
gegen Postal, sondern gegen die gesamte Tour, die sich keinen neuen
Dopingskandal leisten konnte. Mit Lance hatten sie das perfekte Comeback, die
Verkörperung der triumphalen Wiederauferstehung aus dem Dunkel der
Festina-Affäre. Das alles stand plötzlich auf dem Spiel.
Das Postal-Team und Lance erledigten die Sache auf die einfache Art.
Sie dachten sich eine Erklärung aus: Lance habe sich am Sattel wund gescheuert
und eine Hautcreme gebraucht, die Cortison enthielt; deren Rezept wurde
zurückdatiert. [3] Obwohl die Zweifler insistierten, Armstrong habe das Mittel auf seinem
medizinischen Fragebogen bei der Tour-Anmeldung nicht angegeben, schien das
außer einigen Journalisten niemanden zu interessieren. Die UCI wollte Lance nicht zu Fall bringen; sie
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