Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
akzeptierte
das Rezept, und die Tour der Erneuerung konnte weitergehen. [4]
Damals veränderte die Tour ihr Gesicht; ab sofort ging es vor allem
auch darum, die Berichterstattung und damit die Journalisten zu kontrollieren. 1999
wollten die Medien sich, wie in all den anderen Jahren, eigentlich auf das
Drama und die Romantik der Tour de France konzentrieren und die Dopingfrage so
weit wie möglich ausklammern. Doch nicht alle. Eine kleine Gruppe versteifte
sich auf unbequeme Fragen. Armstrong nannte sie die »Trolle«. Die
Rollenverteilung war einfach: Die Trolle wollten Lance zur Strecke bringen, und
er versuchte ihnen zu entkommen.
Zuerst war Lance nicht sehr gut in diesem Spiel. Er fühlte sich
angegriffen, wirkte unausgeglichen und reizbar. »Das geht jetzt schon eine
Woche so, und niemand hat etwas gefunden«, sagte er in einem Interview mit
etwas zu lauter Stimme. »Und auch Sie werden nichts finden. Ob L’Équipe, Channel 4, eine spanische Zeitung, eine
holländische Zeitung, eine belgische – da gibt’s nichts zu finden.« Ein
andermal betonte er: »Ich bin nie positiv getestet worden. Mir konnte noch nie
jemand etwas nachweisen.«
Noch nie etwas nachweisen?
Aber Lance lernte schnell. Bei einer Pressekonferenz meinte ein
Journalist, vielen Menschen komme sein Erfolg wie ein Wunder vor. Ob er das nicht
auch finde? Lance, der nicht religiös ist, überlegte zwei Sekunden und lieferte
dann eine geniale Antwort.
»Doch, es ist wirklich ein Wunder«, erwiderte er. »Weil ich vor 15
oder 20 Jahren überhaupt nicht überlebt hätte, geschweige denn jetzt bei der Tour
antreten oder sie gar anführen könnte. Also, ja, ich halte das für ein Wunder.«
Als die Trolle die Cortisongeschichte nicht ruhen lassen wollten,
tat Lance, was er am besten konnte: Er griff sie frontal an. Zuerst bezeichnete
er Le Monde (eine angesehene, seriöse Tageszeitung)
als »Revolverblatt« und ihre Berichte als »Aasgeier-Journalismus«. Er baute
seine Verteidigung aus; statt sich auf sich selbst zu beziehen, nahm er die
Motive und die Glaubwürdigkeit seiner Angreifer ins Visier. Als ein hartnäckiger
Reporter bei einer Pressekonferenz keine Ruhe geben wollte, fragte Lance ihn:
»Mister Le Monde, nennen Sie mich einen Lügner oder Doper?«
So etwas hätte ich nie gewagt – und was hätte ich denn sagen sollen,
wenn der Journalist geantwortet hätte: »Ich nenne Sie sogar beides«? Aber Lance
zeigte mir, was ein ungebremster Frontalangriff wert sein kann. Er kam damit
durch, weil er wirklich glaubte – und noch immer glaubt –, dass sein Handeln
kein Betrug war, denn schließlich waren alle Tour-Favoriten auf Cortison, alle
hatten ihren Motoman, und alle taten alles, um zu gewinnen. Und wer das nicht
tat, war ein Choad und verdiente es gar nicht, zu gewinnen.
Öfter schon habe ich gesagt, man hätte uns damals an die besten
Lügendetektoren der Welt anschließen können; man hätte uns fragen können, ob
wir gelogen und betrogen hätten. Der Test hätte uns nicht überführt. Und zwar
nicht, weil wir uns etwas vormachten – wir wussten, wir brachen die
Regeln –, sondern weil wir das nicht für Betrug hielten. Es schien uns nur
fair, die Regeln zu brechen, weil wir wussten, alle anderen taten es auch.
Nennen Sie mich einen Lügner oder Doper?
Ich glaube, dies war der Moment, in dem Lance die Oberhand gewann.
Er zeigte ihnen, dass er nicht wie die anderen war, dass er sich nicht winden
und halbherzige Ausflüchte murmeln und alles abstreiten würde, bis die Trolle
ihn am Ende niedermachten. Und es funktionierte. Die Presseberichte des
nächsten Tages hielten sich nicht mit Verdächtigungen oder positiven Tests auf,
sondern drehten sich vielmehr um Lance’ Kampf gegen die Anschuldigungen, einen
Kampf, der einen unweigerlich an seinen Kampf gegen den Krebs und die Rückkehr
in den Sport erinnern musste. Lance attackierte seine Zweifler genauso wie den
Krebs, und es funktionierte.
Journalisten waren natürlich nicht die Einzigen, mit denen er es
aufnehmen musste. Da gab es noch den französischen Fahrer Christophe Bassons.
Er war ein interessanter Mensch, ein großes Naturtalent (sein VO 2-Max, der maximale Sauerstoffaufnahmewert, lag bei 85,
zwei Punkte über dem von Lance), der das Doping nicht nur verweigerte, sondern
auch die Omertà brach, indem er sich offen dagegen aussprach. Seine
Teamkameraden nannten ihn »Monsieur Propre« – den Saubermann. Ein echtes
Problem für Lance war, dass Bassons den Mund nicht
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