Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
überspielen. Das ist im Rennen wichtig. Es ist
ein Schlüssel zum Erfolg, seine wahre Verfassung vor den Gegnern zu verbergen,
weil es sie von Attacken abhält. Du fühlst einen lähmenden Schmerz? Schau
entspannt drein, wenn möglich sogar gelangweilt. Du bekommst keine Luft mehr?
Mach den Mund zu. Du stehst kurz vor dem Exitus? Lächle.
Ich habe ein ziemlich gutes Pokerface. Lance beherrscht das
großartig. Aber es gibt einen Burschen, der besser ist als wir beide: Johan Bruyneel.
Und nie setzte er es so gut ein wie an jenem Abend am Schluss der Dauphiné 2000,
als er mir die Pläne für die Bluttransfusion eröffnete. Ich hatte schon von
Transfusionen gehört, aber das war immer ein theoretisches, abseitiges Thema
gewesen – in Geschichten wie: Ist das zu glauben, dass so ein paar Typen
tatsächlich ihr Blut einlagern, um es sich dann vor einem Rennen wieder
zuführen zu lassen? Das wirkte unheimlich, frankensteinmäßig, wie eine
Horrorgeschichte aus den 1980er-Jahren – über Olympia-Androiden irgendwo hinter
dem Eisernen Vorhang. Aber Johan ließ den Plan ganz normal klingen, fast sogar
langweilig, als er ihn bei der Dauphiné erklärte. Er ist gut darin, das
Unerhörte normal klingen zu lassen – das könnte sogar sein größtes Talent sein.
Es ist irgendetwas in seiner Ausdrucksweise, die Überzeugungskraft seiner
sonoren belgischen Stimme, die äußerst lässige Art, wie er mit den Schultern
zuckt, wenn er die Einzelheiten eines Plans darlegt. Immer wenn ich die
liebenswerten Gangster bei den Sopranos sehe, denke
ich an Johan.
Lance, Kevin und ich, so erklärte Johan, würden nach Valencia
fliegen. Wir würden uns jeder einen Beutel voll Blut entnehmen lassen, der dann
eingelagert werden würde, und am nächsten Tag wieder nach Hause fliegen. Später
dann, vor der entscheidenden Etappe der Tour, würde das eingelagerte Blut
wieder zugeführt werden und uns einen Energieschub verschaffen. Es würde wie EPO wirken, nur besser. Es gab außerdem bereits Gerüchte
über die Entwicklung eines EPO -Tests für die Olympischen
Spiele 2000, und es war zu hören, dieser Test werde vielleicht schon bei der
Tour eingesetzt. Ich hörte Johan zu, nickte, zeigte ihm mein Pokerface. Als ich
Haven davon erzählte, hielt sie es ebenso (Ehefrauen können das auch gut). Aber
ich dachte auch: Was zum Teufel soll das?
Vielleicht war ich deshalb spät dran an jenem Dienstagmorgen, als
wir nach Valencia flogen. Es gab keinen Grund für eine Verspätung – wir alle
wussten, dass Lance nichts so sehr hasste wie Unpünktlichkeit –, aber an diesem
so wichtigen Morgen waren wir volle zehn Minuten zu spät dran. Ich steuerte
unseren kleinen Fiat mit hoher Geschwindigkeit durch die engen Straßen von
Villefranche. Haven hielt sich fest und bat mich, langsamer zu fahren. Ich gab
weiter Gas. Bis zum Flughafen von Nizza waren es noch gut zwölf Kilometer.
Während dieser Fahrt klingelte mein Handy dreimal. Es war Lance.
»Mann, wo seid ihr?«
»Was ist los? Wir starten bald.«
»Wie schnell fährt eure Scheißkarre? Beeilt euch!«
Mit quietschenden Reifen rauschten wir auf den Parkplatz des
Flughafens. Ich hastete durch den Sicherheitsbereich und auf die Startbahn. Ich
war noch nie mit einem Privatjet geflogen, also sah ich mir alles ganz genau
an: die Ledersitze, den Fernseher, den kleinen Kühlschrank, den Steward, der
mich fragte, ob ich etwas trinken wolle. Lance gab sich zwanglos, als ob
Privatjets etwas Alltägliches wären – was für ihn auch zutraf. Seit dem
vergangenen Juli war er ziemlich regelmäßig so gereist, dank Nike, Oakley,
Bristol-Myers Squibb und anderen Unternehmen, die um das Privileg wetteiferten,
ihn befördern zu dürfen. Die Zahlen waren unglaublich. USA
Today schätzte Lance’ Jahreseinkommen auf 7,5 Millionen Dollar, für
einen Vortrag erhielt er 100 000 Dollar, und sein Buch It’s
Not About the Bike (Deutscher Titel: Tour des Lebens.
Wie ich den Krebs besiegte und die Tour de France gewann ) wurde sofort
zum Bestseller. Man spürte förmlich, wie der Geldstrom neue Möglichkeiten
eröffnete. Jetzt mussten wir nicht mehr mit dem Auto nach Valencia fahren,
mussten uns nicht mehr um Zollkontrollen oder Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen
sorgen. Der Jet gehörte jetzt, wie alles andere auch, zu unseren
Arbeitsmitteln.
Die Turbinen brachten uns auf Startgeschwindigkeit, die Räder hoben
ab, und wir waren in der Luft. Unter uns sahen wir die Côte d’Azur, die Villen,
die Jachten; es war ein
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