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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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die Schöpfung zu speichern. Jedes Blatt ist eine Feder, die die Sonne speichert, jede Frucht speichert den Baum. Die Seele des Menschen speichert dich, nicht wahr? Du bist ...
    Plötzlich neigte das Kanu sich zur Seite. Die Paddler schrien entsetzt, und Arellya rief nach Hethor. Er wollte zu ihr, als er mit einem Mal Wasser über sich sah – und Zahnreihen, länger als seine Beine. Das fürchterliche Gebiss schnappte nach seinem Kopf. Scharlachrote Fleischbrocken klebten an den riesigen Zähen, denn die Bestie hatte bereits den Steuermann erwischt, dessen beide Hälften nun auf dem Strom trieben.
    Hethor rutschte in das Gebiss hinein, und seine Beine klatschten aufs Wasser. Der Gestank des Krokodilatems war unvorstellbar widerwärtig.
    Ich sterbe , dachte Hethor, als Opfer eines Räubers der Wasserwege.
    Seine Hände reagierten instinktiv und drehten die Tafel nach oben, um sie zwischen die Zähne zu seiner Rechten zu rammen, in den Rachen des Tieres. Das Krokodilmaul schloss sich. Dann aber kamen die Kiefer zum Stillstand, denn die Tafel hatte sich zwischen den oberen und unteren Zahnreihen verklemmt und den tödlichen Biss verhindert. Offenbar bestand die Tafel aus vergoldetem Metall, denn echtes Gold hätte diesem Druck nicht standhalten können, es war zu weich. Hethor starrte voller Entsetzen auf die gewaltigen Kiefer. Er war noch in einem Stück, aber hilflos gefangen.
    »Bote!«, rief jemand in der Sprache des vergessenen Volkes, während das Krokodil ihn wild hin und her warf.
    Hethor wand sich verzweifelt, kam aber nicht frei. Das Krokodil glitt nach hinten in das stinkende Wasser und zog ihn mit sich.
    Die Musik, dachte Hethor, als er die Klänge der Schöpfung vernahm. Verändere die Zahnräder! Hilf mir, Gott!
    Er griff mit allen Sinnen nach seinem besonderen Hörvermögen, doch das Wasser in seinem Mund und seiner Nase lenkte ihn ab, auch, dass ihn das Krokodil ihn wild hin und her schleuderte.
    Er schloss die Augen, dachte an das Rattern der Mitternacht, das er immer hörte, und sah das Krokodil nur noch als mechanisches Objekt aus Zahnrädern und Federn. Die Luft brannte in seiner Brust, als die Lunge nur noch sauren, heißen Atem produzierte. Verzweifelt kämpfte er dagegen an, das stinkende Wasser zu schlucken, denn alle seine Instinkte schrien danach, einzuatmen, in der Hoffnung, doch noch frische Luft in die Lunge zu bekommen.
    Etwas biss in seine Füße. Hethors Konzentration wurde zunichte gemacht. Er schrie auf, und Wasser strömte ihm in den Schlund. Er wusste, dass er versagt hatte.
    Ich bin tot.
    Dann schlug ihm irgendetwas gegen den Kopf. Nicht das Krokodil, sondern ein anderer Kämpfer im Wasser. Hethor versuchte zurückzuschlagen, doch sein Arm wurde gewaltsam gepackt. Entschlossen, mit den Worten Gottes in seiner Nähe zu sterben, ergriff Hethor die goldene Tafel mit der freien Hand.
    Plötzlich war da Auftrieb, beinahe so, also würde er in die Höhe geworfen. Hethor schoss aus dem Wasser wie ein Fisch am frühen Morgen, der die ersten Insekten zu fangen versucht, nur um wieder hinabzustürzen und von den Händen des vergessenen Volkes aufgefangen zu werden.
    Sie zogen Hethor auf ein Floß. Würgend erbrach er das trübe Flusswasser, während Schmerzen in seiner Lunge und seinem Kopf wüteten. Die Tafel hatte er nicht losgelassen. Er hatte Angst, nach seinen Füßen zu sehen, denn er befürchtete, das Krokodil könnte sie ihm abgebissen haben.
    »Bote!«, brüllte jemand in sein Ohr. »Lebst du?«
    Er erbrach sich erneut, keuchte und schaffte es, ein »Ja« auf Englisch hervorzubringen. Mühsam rollte er sich auf den Rücken, öffnete die Augen und sagte: »Ich habe keine Seelenmagie.«
    »Leben ist Magie«, sagte jemand, der fast wie Kalker klang. Hethors Gedanken verloren sich in einem Labyrinth aus Hustenanfällen, schmerzhaftem Keuchen und dem Versuch, Luft in seine Lunge zu saugen, während er aus dem Augenwinkel einen weißen Vogel über sich hinwegfliegen sah.
***
    Als er kurze Zeit später zu sich kam, lag er zusammengekrümmt auf einem der Flöße und hielt die Tafel noch immer fest in den Händen. Arellya saß neben ihm. Ihr linker Arm war in Blätter gewickelt. Ihre freie Hand strich durch Hethors Haare.
    »Du hast überlebt«, sagte sie sanft, als sie merkte, dass er sie anblickte.
    »Der Steuermann aber nicht.«
    »Nein. Mit ihm sind es vier Tote. Die drei anderen starben, als sie dich gerettet haben.«
    Diese Neuigkeit betrübte Hethors Herz viel mehr, als die meisten

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