Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
verstand er nicht.
Er blickte auf die Narbe auf seiner Hand. Sie war nach all den anderen Verletzungen, die er erlitten hatte, wiedergekehrt und zeigte noch immer die Gestalt eines Schlüssels. War der Schlüssel der Ewigen Bedrohung irgendwo in ihm, so wie das Herz Gottes innerhalb der Welt war?
Hethor bekam Angst. Wenn er mit seiner Mission scheiterte und die Antriebsfeder der Welt nicht aufzog, würde das Herz Gottes dann zu schlagen aufhören, wenn diese Feder abgelaufen war? Nein, das war nicht unmöglich. Gott war dem Universum nicht unterworfen, er umgab es.
Dies alles bereitete Hethor Kopfschmerzen. Er legte die Tafel beiseite, strich einen Moment lang mit dem Finger über die Narbe und begab sich auf die Suche nach Nahrung und Wasser.
Er würde sehr viel Zeit haben, über dieses Rätsel nachzudenken, bevor sie sich so weit im Süden befanden, dass von seiner Seite dringendes Handeln vonnöten sein würde.
***
Den ganzen Tag hielt Arellya Abstand zu Hethor, ohne jedoch ganz aus seinem Blickfeld zu geraten. Wenn er nach achtern ging, trieb sie sich mittschiffs herum. Wenn er bugwärts ging, blieb sie in der Nähe an einer Reling stehen.
Hethor schaute nach unten auf die rollenden Wellen. Der Wind, der um den Tragkörper pfiff, vermischte sich mit dem fernen Meeresrauschen. Aus beiden Geräuschen konnte Hethor das Rattern kleiner Zahnräder innerhalb von Zahnrädern heraushören. Er konnte die Geräusche der Schöpfung nun immer häufiger vernehmen, nicht nur, wenn er ängstlich oder in Bedrängnis war. Sie waren zum Hintergrundgeräusch seines alltäglichen Lebens geworden.
Hethor wusste nicht genau, ob das ein beängstigender oder beruhigender Gedanke war.
Er stieß sich von der Reling ab, um nach dem Wasser zu suchen, das Salwoo und seine Kameraden angeblich unter Deck gefunden hatten. Doch als er auf den Niedergang zustrebte, hielt er inne.
Vielleicht hatte sich der Wind gedreht. Oder im Wasser unter ihnen hatte sich eine Strömung verändert.
Er legte den Kopf zur Seite und hörte genau hin. Wie weit war das Geräusch entfernt?
Plötzlich verstand Hethor, dass das veränderte Geräusch von den Rädern der Zeit verursacht wurde, und dass das Universum sich verändert hatte. Er hörte ein Rattern wie bei einer versagenden Uhr, die nicht mehr im Takt und ungenau lief. Er rannte zur Reling zurück und starrte auf die Wellen.
Es war schwer zu erkennen, ob sich etwas verändert hatte. Die Wellen wogten so wie zuvor, und die Bäume entlang der Küste schwankten wie eh und je in der Brise. Die Welt sah genauso aus wie vor ein paar Minuten.
Dann wurde das Geräusch lauter, verwandelte sich in ein wildes Tosen. Die Wellen wichen zurück, als würde mit unglaublicher Geschwindigkeit die Ebbe einsetzen. Die Bäume schaukelten nun gegen die Windrichtung.
Hethor rannte zur anderen Reling und blickte hinaus auf den Ozean. Selbst aus dreihundert Metern Höhe konnte er die sich nähernde Dünung deutlich sehen. Diese Welle hatte der Küste ihr Wasser geraubt.
Das Herz rutschte ihm in die Hose. Der schreckliche Anblick ließ ihn vor Angst am ganzen Körper zittern. Aber Angst würde nichts ändern. »Schaut!«, rief er dem vergessenen Volk zu.
»Ein Ungeheuer«, sagte einer. »Ein Geist«, flüsterte ein anderer. »Der Große Salzfluss ist wütend.« Sie plapperten weiter und schienen fasziniert zu sein. Anders als bei Hethor ließ ihr Mut sie nicht im Stich.
Er überquerte das Deck erneut, um zu beobachten, wie die Welle das Land erreichte. Sie prallte mit Wucht auf und hatte sich zu einer riesigen Schaumwelle aufgetürmt, kurz bevor sie das Ufer überspülte. Hethor schätzte, dass die Welle fast dreißig Meter hoch war – eine nasse Felswand, die auf den Dschungel zu raste.
Vögel flüchteten kreischend vor dem tosenden Wasser in den Himmel, erhoben sich wie Ströme leuchtender Farben von den Baumspitzen. Hethor hatte so etwas schon einmal gesehen. Er wusste, dass einige der Tiere zu langsam waren. Er wollte die Hand nach ihnen ausstrecken und sie vor dem Flug in den Tod retten, indem er sie hoch in die Lüfte hob.
Die Welle verschluckte das Ufer und brach über den küstennahen Rand des Dschungels herein. Die aufgewühlten Wassermassen waren fast so hoch wie die Baumkronen. Mitgerissener Boden färbte den weißen Schaum und das blaue Meer braun, und Stämme riesiger Bäume wurden wie Holzreste in einem Abflussgraben in die Höhe geschleudert.
Der Lärm war entsetzlich. Hethor konnte es alles hören
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