Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
– wie das Kernholz ächzte, bevor die Bäume nachgaben und brachen; wie die panischen Schreie der Baumbewohner und Tiere auf dem Boden verstummten; wie die flatternden Flügel der Vögel aufs Wasser klatschten, als die Flutwelle über sie hereinbrach. Die Flut bahnte sich dröhnend landeinwärts einen Weg und schob eine stetig größer werdende Front des Chaos aus Trümmern und toten Lebewesen vor sich her.
Merkwürdigerweise stank die Welle nach Schlamm und Fäulnis, dem strengen Geruch des Ozeans und verfaulendem Dschungel. Warum hatte er immer gedacht, das Meer würde frisch duften?
»Der Große Salzfluss bestraft das Land«, sagte Arellya, die neben ihm erschien.
»Die Welt hat Schmerzen«, erwiderte Hethor. Die Zahnräder ratterten und schabten am Rande seiner Wahrnehmung über Metall.
Sie beobachteten, wie das Wasser aus dem Dschungel zurückfloss und tausende Bäume mit sich riss. Große pelzige Leichen folgten seinem Weg. Drei weitere Wellen prallten aufs Land. Obwohl sie kleiner waren als die erste, waren auch sie verheerend.
Als es ein paar Stunden später vorüber war, sah das Ufer aus, als hätten sämtliche Artillerieregimenter Gottes ein Übungsschießen veranstaltet. Unter dem Luftschiff breitete sich ein Schlachtfeld aus zerstörter Vegetation, aufgetürmtem Gestein und dampfendem Schlamm aus.
Hethor ging unter Deck und stolperte durch die Finsternis, bis er eine Kabine fand, die die jungen Männer des vergessenen Volkes nicht für sich entdeckt hatten. Er legte sich ins Bett, starrte an die Decksplanken und fragte sich, warum Gottes Plan so viel Schmerz auf der Welt zuließ.
»Du hast gesagt, die Welt hat Schmerzen«, sagte Arellya, die ihm gefolgt war, von der Luke aus. »Wer bereitet ihr diese Schmerzen?«
»William of Ghent«, antwortete Hethor, als er sich an seinen unterdrückten Zorn erinnerte. »Ein Mann aus meinem Volk.«
Aber das stimmt so nicht, dachte er.
»Wer ist dieser Mann? Warum hasst er die Welt so sehr, dass er sie verletzen will?«
»Ich habe voreilig gesprochen.« Hethor versuchte seine Worte so zu formulieren, dass sie zu Arellyas Sprache passten, der es an der Präzision des Englischen mangelte, zumindest, wenn es um Fragen des Glaubens oder mechanische Dinge ging. »Als Gott die Welt erschuf, erschuf Er sie mit ... mit einem Fehler.«
»Alles hat einen Fehler. Nur Gott kann perfekt sein.«
Daran hatte Hethor nicht gedacht. In seiner Erfahrung spiegelte die Perfektion eines Gegenstandes den Wert seines Erschaffers wieder. »Ja«, sagte er. »Ja. Die Welt muss ... sie muss von Zeit zu Zeit ... gedreht werden.«
Er fand kein Wort in der Sprache des vergessenen Volkes, mit dem er das Aufziehen einer Uhr beschreiben konnte.
»Gedreht?« Arellya lachte und setzte sich auf die Bettkante. Die Nähe ihres warmen Körpers fühlte sich wie ein electrischer Funke an. »Wie eine Yamswurzel über glühendem Feuer? Die Welt dreht sich doch sicherlich von selbst.«
»Nein, nein.« Hethor lachte nun ebenfalls, und dadurch verschwand ein Teil seiner Trauer und seiner Ängste. »Es gibt ein Herz innerhalb der Welt, wie das Herz in einem Menschen. Es schlägt im Einklang mit dem Rhythmus der Welt.«
»Es ist klug, die Dinge so zu ordnen«, sagte sie.
»Nun ja. Aber die Welt ist ein erschaffenes Ding. Das Herz muss nach einigen Lebenszeiten gedreht werden, damit es weiter schlagen kann. Mein Volk nennt dieses Drehen aufziehen .«
»Also muss man das Herz der Welt aufziehen? «
Er dachte an die Worte auf der goldenen Tafel und wiederholte sie für Arellya.
»Das Herz Gottes ist das Herz der Welt.«
»Solange der Mensch lebt, lebt Gott.«
»Solange Gott lebt, lebt die Welt.«
»Das Herz der Welt ist unser Herz und das Gottes«, schloss Arellya, und sie klang zufrieden, als sie diese Worte sprach. Dann ergriff sie seine Hand. »Wie geht es deinem Herzen, Bote?«
Hethors Herz raste in diesem Augenblick, und seine Haut kribbelte unter Arellyas Berührung. »Meinem Herzen geht es gut«, sagte er leise.
»Ist es schon voll?«
»Voll?«
Sie drängte sich an ihn und küsste ihn. Ihr Gesichtsfell kitzelte ihn am Schnurrbart und den sprießenden Barthaaren, denn er hatte sich seit dem Erlebnis mit William of Ghent nicht rasiert.
Seltsam, dachte er. Vor ein paar Monaten hätte ich mir eher Flügel als einen Bart wachsen lassen können.
Er spürte ihre Lippen auf den seinen und erwiderte ihren Kuss ziemlich unbeholfen, denn er hatte kaum Erfahrung, doch Arellya schien es nicht zu
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