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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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erwachte, wusste er nicht, wie spät es war, und so weit im Süden war es immer schwierig, die Uhrzeit zu schätzen. Seine Muskeln waren so steif, dass er sie kaum bewegen konnte. Die Herz Gottes brannte immer noch. Mittlerweile war das Luftschiff nicht viel mehr als ein Berg aus Kohle und glühender Asche. Ihre Galgenfrist war abgelaufen. Bald würden sie die Kälte wieder spüren.
    Das vergessene Volk bereitete sich darauf vor, nach Süden zu gehen, angeführt von Arellya. Selbst Hethors bescheidene Kenntnisse des Winters in Neuengland ließen ihn erkennen, dass sie keinen einzigen Tag überleben würden. Nicht ohne Essen oder Kleidung und Stiefel.
    Was konnten sie überhaupt noch tun?
    Nichts.
    Er würde sterben, mit dem Gesicht in Richtung Südpol.
    Da Arellya bemerkt hatte, dass Hethor wach war, brachte sie ihm weitere Decken. »Wickle deine Arme und Beine ein«, sagte sie. Sie warf ihm ein paar Seile vor die Füße. »Hier sind Ranken.«
    »Danke.«
    Hethor wappnete sich gegen die Kälte, so gut es ging, und hatte sich bald in viele Deckenschichten eingewickelt. An den Ärmeln, der Hüfte und am Hals verschnürte er den Stoff. Für seine Füße konnte er wenig tun. Die Lederstiefel, die er seit seiner Flucht aus Williams Festung getragen hatte, waren nur noch Fetzen, aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie er sich auf den Weg machen sollte, wenn seine Füße nur mit Stoff umwickelt waren.
    Viel zu früh sammelten sie sich zu einer Marschkolonne. Hethor dachte an die fröhliche Meute, die vor so langer Zeit ausgezogen und mit ihrer kleinen Kanuflottille munter drauflos gepaddelt war. Nichts davon war geblieben. Doch Arellyas Volk erfüllte ihn weiterhin mit Stolz. Es ging nicht darum, dass sie ihm treu waren. Sie waren ihren eigenen Verpflichtungen treu, so, wie Hethor Gabriel gegenüber treu war.
    »Du wirst wohl einen anderen Helden finden müssen, Gabriel«, flüsterte er.
    Sie begaben sich auf ihren ungeordneten Marsch und tauschten die letzten Flammen des erlöschenden Feuers gegen die tödliche Kälte ihres Weges in den Süden.
***
    Hethor ging als Erster, um dem Rest seiner Truppe einen Pfad durch den Schnee zu bahnen. Kein Angehöriger des vergessenen Volkes war groß genug, um diese Aufgabe zu übernehmen; auf der anderen Seite waren sie zu schwer, um einfach über den Schnee zu laufen. Der Schnee lag nicht besonders hoch – gerade mal eine dünne Schicht auf härterem, rutschigem Eis und auf den Bergrücken bisweilen Kies –, aber wo der Boden sich hob oder senkte, konnte der Schnee von wenigen Zentimetern mit einem Schritt einen halben Meter tief werden. Das vergessene Volk wäre sofort verloren.
    Hethor wählte ein Tempo, das er unter Aufbietung aller Kräfte halten konnte, obwohl seine Füße so schwer wie Uhrengewichte waren. »Eins.« Schnaufen. »Zwei.« Keuchen. »Drei.« Schnaufen. »Vier.«
    Pause.
    Ausruhen.
    Dasselbe noch einmal.
    Hethor stapfte weiter, bahnte ihnen und sich selbst einen Pfad in einem persönlichen Universum aus stechenden Schmerzen und – merkwürdigerweise – Hoffnung. Immerhin lebte er noch. Das war ein Wunder, wenn auch nur ein vorläufiges. Wieder war er vom Himmel gestürzt, und wieder hatte er überlebt.
    Arellya folgte ihm. Sie war zu einer Kette aus Liebe und Verlangen geworden, die sich um Hethors Herz gelegt hatte. Er konnte sich glücklich preisen, sie noch vor seinem Tod kennengelernt zu haben.
    Zur Hölle mit Pryce Bodean, dachte er. Soll er in New Haven seine vornehmen Damen und sein Bistum haben! Ich habe gelebt!
    Doch der Schnee nagte an seiner Kraft, die Kälte zehrte an seiner Ausdauer, und seine Füße hatten sich in Eisklumpen verwandelt. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass ein paar Nachzügler in der Ferne schon fast nicht mehr zu erkennen waren. Er sah, wie einer von ihnen zu Boden fiel. Sie schienen bereits mehrere Gefährten verloren zu haben. Hethor führte eine sich auflösende Kolonne pelztragenden Leidens an. Dennoch konnte er nicht stehen bleiben.
    »Eins.« Schnaufen.
    »Zwei.« Keuchen.
    »Drei.« Schnaufen.
    »Vier.«
    Konnte er so weitermachen? Tagelang? Ohne Essen, Wasser und Schlaf? Würde Gott ihm diese Kraft verleihen?
    Sein Fuß rutschte aus, denn er war an einer kleinen Kante direkt unter dem Schnee hängen geblieben. Hethor stürzte und rutschte in den Schnee vor ihm, bis er von frostiger Finsternis vollständig umgeben war. Er versuchte zu schreien, aber sein Mund war verstopft. Er versuchte den Schnee

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