Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
Geschichte. Aber nichts über Kühe oder Bauernhöfe oder die Steuereintreiber Ihrer Kaiserlichen Majestät.«
Hethor dachte an seine Unterrichtsstunden zurück, die ihm die großen Autoren der Vergangenheit nahegebracht hatten, räusperte sich und gab in freier Form das neunte Buch der Ilias Homers wieder.
***
Homer, Sophokles und die Aeneis des Vergil vertrieben ihnen bis zum Abend die Zeit, als sie Hartford erreichten. Auch das Mittagessen – kaltes, gebratenes Hühnchen und kräftiges braunes Brot – leistete seinen Beitrag. Der alte Mann trieb den Karren mit reichlichem Schnalzen auf den Hinterhof eines großen Wirtshauses, wo ein gutes Dutzend alter Männer wartete. Ein paar jüngere Burschen entluden lauthals den Karren, während die anderen vor den Ställen herumlungerten, denn ihre Pferde waren für die Nacht abgehalftert und untergebracht worden.
»Du kannst ordentlich Reden schwingen, junger Hethor«, sagte der Bauer, der schließlich doch seinen Namen genannt hatte: Thomas Mudge. »Fast wie ein Priester. Die Jungs da drüben treffen sich heute auf der Wiese hinter dem Hof zum Abendessen. Du kannst dich zu uns setzen und was zum Besten geben. Ich hätte nichts dagegen, wenn du ein paar von den griechischen Geschichten noch mal erzählst.«
»Vielen Dank, Sir, aber ich muss weiter.«
»Weiter? Wohin? In der Dunkelheit? Dann fällst du doch bloß in den nächstbesten Graben. Ich weiß, dass du keinen Cent für was Warmes zu essen oder ein sauberes Bett hast. Ich stell dich den Jungs vor. Könnte doch sein, dass einer von ihnen morgen einen leeren Karren hat, der nach Storrs oder Westford fährt, und sich über deine Gesellschaft freut. Gesetzt den Fall, er lernt dich heute Abend kennen. Bis dahin kannst du den Jungs bei meinen Rüben helfen.«
Ein Abend mit feurigem Maisschnaps und warmem, gebratenem Truthahn ließ Hethors Glauben an das Gute im Menschen fast wieder zurückkehren. Er hörte Lügenmärchen über fremde Länder und die heidnischen Zauberkräfte der Südlichen Hemisphäre. Dann gab er selbst Geschichten zum besten, wobei er sich auf seinen Geschichtsunterricht und die alten Autoren stützte und sich vom Alkohol, dem Lagerfeuer und der sanften Abendbrise bezaubern ließ.
Es war bereits spät in der Nacht, als Hethor wieder an der Reihe war. Er stand auf, einen Tonkrug in der Hand. Es fehlten nur wenige Tage zum Neumond, sodass die schmale Sichel am Himmel wie ein kurz geschnittener Fingernagel aussah. Selbst die Sterne schienen sich zur Ruhe begeben zu haben. Vier der fünf alten Männer schnarchten unter ihren Decken am Feuer; obwohl sie in einer kleinen Hütte hätten schlafen können, war die Nachtluft doch angenehm, und das Feuer wärmte sie. Die Anderen hörte immer noch zu, wobei sie Hethor aus verschlafenen Augen musterten.
»Hatte vor Kurzem ... Besuch«, sagte Hethor, der sich bei diesen Worten ein wenig verhaspelte. »’n himmlisches Wesen is’ mir erschienen.«
»Wie alt war die?«, fragte einer der Männer lachend, doch ein anderer stieß ihm den Ellbogen in die Seite.
»Keine Frau. ’n Engel war’s, glaub ich. Größer als jeder von uns. Sie hatte weiße Federn wie ’n Schwan. Hat mir gesagt, dass ich einen ... Schlüssel finden muss. ’nen gefährlichen Schlüssel. Deswegen bin ich auf ’m Weg, um mit dem Vizekönig zu sprechen ... und ihm das zu sagen.«
»Ich hätte dem Vizekönig auch das eine oder andere zu sagen«, meinte der Mann und lachte erneut.
»Ist das nur ’ne Lagerfeuergeschichte, Junge?«, fragte Mudge, der immer noch wach war. »Oder eine von den alten Erzählungen?«
»Is’ die Wahrheit, Sir, ich schwör’s.« Hethor schluckte einen Rülpser herunter. »Ich schwör’s beim Messing-Himmel.« Instinktiv fügte er hinzu: »Und beim Albino-Tukan.«
Mudge brauchte einen Augenblick zu lange, um darauf zu antworten, und warf Hethor einen scharfen Blick zu. »Der Junge weiß, wie man Rüben lagert«, sagte er zu den anderen Männern, als wäre es das größte Lob auf der Welt. »Außerdem kann er gut Geschichten erzählen. Hat die Stimme von ’nem Engel.« Er blickte Hethor grinsend von der Seite an. »Ich bürge für ihn. Wer fährt Morgen nach Nordosten?«
Ein Zwischenrufer meldete sich: »Pierre Le Roy, glaub ich.«
»Dann wird Le Roy den Jungen mitnehmen«, stellte Mudge fest. »Und ihm helfen, nach Boston zu kommen.«
»Auf Boston!« Sie stießen an.
»Auf Boston!«, sagte Hethor und wedelte mit seinem Tonkrug, bevor er in der abrupt
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