Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
schloss die Augen und lauschte den Geräuschen der Welt. Gott oder Gabriel würden ihn sicher mit Leichtigkeit finden, wenn sie nur wollten. Und Le Roys Esel fanden irgendwie ihren Weg in Hethors unruhige Tagträume.
***
Das Mittagessen bestand aus kaltem Hühnchen. Hethor aß langsam. Sein Hunger stand im ständigen Widerstreit mit einem allgemeinen Unwohlsein. Le Roy bot ihm Maisschnaps an, den er aber nach einem beunruhigenden Rumoren seines Magens dankend ablehnte. Den Rest ihres Aufenthalts in einem Erlenwäldchen verbrachte der alte Bauer damit, in Ruhe zu essen und zu trinken, so gemächlich wie seine beiden Esel. Hethor versuchte währenddessen, jeden Gedanken abzuschalten.
Der Nachmittag verging schnell, und Hethor wurde immer wieder vom knarzenden Wagen aus seiner Katermüdigkeit geweckt. Le Roy hatte nichts zu erzählen, was Hethor durchaus passte. Am Abend, als die ersten Sterne erschienen, erreichten sie Storrs. Weiße Gebäude mit Schindeldächern leuchteten unter wuchtigen Ulmen, und das Kopfsteinpflaster der Straßen war genauso sorgfältig verlegt wie in New Haven. Storrs strahlte gesundes Selbstbewusstsein aus.
Mit einem Schnalzen ließ Le Roy die Esel kurz vor der Stadtmitte anhalten. Er legte die Zügel hin und drehte sich auf seinem Sitz zu Hethor um. »Bist du dir immer noch sicher, dass du den Vizekönig in Boston aufsuchen willst, Junge?«
»Ja, Sir.« Wollte Le Roy ihn davonjagen?
»Am Hof in Boston ist nur eine bestimmte Art von Mann beliebt. Man merkt, dass du aus der Stadt kommst, Junge, aber du gehörst nicht wirklich dazu.«
In New Haven hatte er auch nicht dazugehört. Faubus hatte es nicht besser gewusst, aber Pryce ... nun, Pryce war eine andere Geschichte.
Le Roy räusperte sich. »Hier gibt es Leute, die bei einem Mann eher auf seine Schuhe achten, als ihm in die Augen zu schauen und zu sehen, ob er die Wahrheit spricht. Old Mudge hat in deinen Augen die Wahrheit gelesen, Junge, aber das wird in Boston den Schmutz auf deinen Stiefeln nicht vergessen lassen.«
»Ich bin, wer ich bin«, sagte Hethor. Erzengel Gabriel hatte ihn mit einer Aufgabe betraut, der vielleicht bedeutendsten Aufgabe der gesamten Nördlichen Hemisphäre. Er durfte sich nicht davon abbringen lassen. »Ich kann nur meine Geschichte erzählen.«
Le Roy sprach plötzlich mit belegter Stimme, als würden ihn Leidenschaft oder Zorn überwältigen. »Mudge hat mich gebeten, dir Folgendes zu sagen, im Namen des weißen Vogels und derjenigen, die dich auf die Reise geschickt haben: Wenn du am Vizekönig verzweifelst, gibt es einen Mann, der dir helfen könnte. Immer wenn sein Schiff in Boston vor Anker liegt, geht er am Pier Vier, im Anthony’s, einen trinken. Sein Name ist Malgus. Du könntest versuchen, ihm deine Geschichte zu erzählen. Vielleicht hört er dir sogar zu. Und jetzt ab mit dir.«
Hethor sprang vom Kutschbock. »Ich dachte, du würdest mich weiter nach Boston schicken«, meinte er unsicher.
»Wenn du hier wartest, wird das auch geschehen.« Der alte Bauer war nur noch ein Schatten, der im Dunkeln über Hethor aufragte, während die schwitzenden und stinkenden Esel vor sich hin dampften. »Gleich kommt jemand und nimmt dich mit. Es bringt aber nichts, dich bei den Leuten vorzuzeigen, zu denen ich jetzt fahre. Lebwohl, Junge.«
Als Le Roy losfuhr, wurde Hethor bewusst, dass er dem alten Mann seinen Namen nicht genannt hatte, und Mudge schien es auch nicht getan zu haben. Es fühlte sich merkwürdig an, sein eigenes Ich geheim zu halten, wenn man freundlich behandelt worden war. In Hethors Leben hatte es zuvor keine Angst gegeben.
Und nun?
Er bemitleidete sich nicht, dass der Erzengel ihn auserwählt hatte, aber Gabriel hatte ihm keine leichte Aufgabe zugeteilt. Binnen weniger Tage hatte Hethors Leben sich in einen Scherbenhaufen verwandelt. Er setzte sich an den Rand des Bürgersteigs und versuchte sich an seinen Vater zu erinnern, doch er sah vor seinem geistigen Auge nur das traurige Antlitz Franklin Bodeans, als er ihn, Hethor, aus dem Haus geworfen hatte.
***
Le Roys »gleich«, bedeutete fast zwei Stunden. Hethors Zeitgefühl ließ ihn niemals im Stich und stimmte immer auf die Sekunde genau. Mehrmals erwog er, der Straße Richtung Osten und Norden zu folgen, aber die Aussicht auf eine lange und langsame Reise ließen seine Füße nur noch mehr schmerzen, also wartete er weiter. Seine bisherige Reise war beschwerlich gewesen, aber nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Vielleicht
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