Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
dir vielleicht behilflich sein.«
»Wieso? Wenn du nur halb so besoffen bist wie Le Roy, könntest du nicht mal ein Sofa fortbewegen, schon gar nicht ein Fuhrwerk.«
Hethor gab es auf. Die Luft roch kühl und sauber, und nach wenigen Minuten bemerkte er, dass er über Federspannung und Hemmungen sprach, und wie ein Rädersatz die Zeit so genau messen konnte, dass man nur mit speziellem Werkzeug und besonderen Kenntnissen die Fehler erkannte. Es war ein sicheres Thema, bei dem er sich auskannte und für das Darby sich offenbar interessierte. Hethor konnte sogar die meiste Zeit vergessen, dass sie ein Mädchen war und dachte kaum noch daran, was sich unter ihrer Seemannsjacke verbergen mochte.
Schließlich hielt sie für die Nacht und bot ihm an, im Aufbau des Leichenwagens zu schlafen, aber die Vorstellung, dort zu nächtigen, wo bald Tote liegen würden, verunsicherte Hethor.
»Ganz wie du möchtest.« Darby zuckte mit den Achseln, wobei ihr Umriss sich deutlich vor dem Sternenlicht abzeichnete. Sie wirkte immer noch wie ein Junge und grinste ihn schelmisch an. Dann kletterte sie vom Fahrersitz und ging nach hinten.
Hethor blieb noch eine Weile sitzen. Seine Hose wurde plötzlich eng und unbequem. Es war ihm peinlich und ließ sein Gesicht noch röter anlaufen.
Als der Schlaf ihn überkam, näherten sich ihm in seinen Träumen Frauen mit feuerroten Augen.
***
Der nächste Tag bestand aus gelegentlichem Geplauder, das von einigen Pausen unterbrochen wurde, um Eintopf und Brot zu sich zu nehmen. Darby legte keinen Wert darauf, die Pferde anzutreiben, denn sie waren ein Paar, das nicht zusammenpasste: ein alter Grauschimmel und ein junger, munterer, stichelhaariger Artgenosse. Darby und Hethor sprachen über die Frühjahrsaussaat und den Vorteil von Kopfsteinpflaster gegenüber Ziegelpflaster, und warum Schiffe immer mehr als eine Uhr an Bord hatten, und wen der Vizekönig vermutlich zum nächsten Gouverneur von Connecticut ernennen würde. Jedes Mal, wenn ihre Unterarme wegen der schlingernden Bewegungen des Leichenwagens aneinanderstreiften, spürte Hethor, wie sein Gesicht rot anlief. Er versuchte mit aller Kraft zu vergessen, dass er zum ersten Mal mit einem Mädchen, einer jungen Frau, allein war.
Am späten Vormittag summten die Insekten in den Sträuchern, und es versprach ein heißer Tag zu werden. Hethor betrachtete die Dasselfliegen, die unter dem Geländer einer kleinen Brücke umhersummten, die sie mit dem Leichenwagen überquerten. Das Gespräch mit Darby war ein wenig eingeschlafen. Hethor warf ihr mehrmals verstohlene Blicke von der Seite zu – und sah die grauen Augen, die Stupsnase und die Strähnen ihres braunen Haars, die unter ihrer Mütze hervorlugten.
Darby fuhr gut. Viel besser, als er es gekonnt hätte, auch wenn es ihm schwerfiel, dies einzugestehen. Sie fand sich auf den Straßen bestens zurecht. Sie war angenehm und witzig und hätte ein genauso guter Freund sein können wie ein Junge.
In diesem Augenblick platzte aus Hethor heraus, was ihn schon die ganze Zeit gestört hatte: »Wie kommt es, dass du so gut fährst? Du bist ein Mädchen!«
Darby schnalzte mit den Zügeln und ließ die Pferde anhalten. Dann drehte sie sich zu ihm und starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Hast du ein Problem damit?«
Er kam sich wie ein Trottel vor. Einer von Meister Bodeans Söhnen hätte es viel besser erklären können, mit der Präzision und Überzeugungskraft der Logik, die sie in Yale gelernt hatten. Für Hethor aber war das Problem so offensichtlich, dass er nicht einmal sicher war, ob er die richtigen Worte fand, obwohl jeder wusste, dass man Frauen nicht mit solchen Aufgaben betrauen konnte.
»Es ... Frauen ...«, stammelte Hethor. »Du bist allein. Du solltest kein Fuhrwerk über diese Straßen fahren.«
»Ich bin nicht allein«, erwiderte sie gelassen. »Ich fahre mit dir zusammen. Dann reite ich auf Daisy zurück und führe Dapple am Zügel mit. Wenn ich Glück habe, schaffe ich es an einem Tag. Die meisten Leute halten mich sowieso für einen Jungen und schauen mich kein zweites Mal an. Was also geht es dich an?«
»Wir müssen uns an die Ordnung der Welt halten«, erwiderte Hethor starrköpfig. Sein Gesicht und sein Schritt glühten vor Hitze. Dieses Mädchen sorgte dafür, dass ihm der Schweiß ausbrach, und das machte ihn wütend.
»Genau, und diese Ordnung besagt, dass ich die Fahrerin dieses Leichenwagens bin und du nicht, was bedeutet, dass du genauso gut absteigen
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