Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
Über der Uhr flatterte der Union Jack; zu seiner Linken hing die Flagge der Neuengland-Kolonien Ihrer Kaiserlichen Majestät mit blauen Sternen auf weißem Grund, zu seiner Rechten eine Hethor unbekannte Fahne mit einem gelben und einem roten Streifen, vermutlich die des Vizekönigs. Daher hoffte Hethor, dass die Fahne die Anwesenheit Seiner Majestät bekundete.
Ihm kamen Zweifel, als er sich an die Bedeutung seiner Aufgabe erinnerte. Sollte er zuerst Anthony’s Kneipe an Pier Vier aufsuchen und nach Malgus fragen? Hethor musste mit der Möglichkeit rechnen, dass der Vizekönig ihn einfach auslachte oder, viel schlimmer, das Exempel eines aufrührerischen Bürgers aus den Kolonien an ihm statuierte.
Hethor konnte weder das eine noch das andere ausschließen. Meister Bodean hatte sich für Politik nie erwärmen können und sich um seine Uhren gekümmert, seine Steuern gezahlt und Ihre Majestät herrschen lassen. Daher verstand Hethor nicht das Geringste von Politik, sah man von der Geschäftspolitik ab – bar im Voraus bezahlen lassen, nur selten anschreiben lassen und niemals zu einem geringeren Preis verkaufen als dem, den man selbst entrichtet hatte, zuzüglich eines ordentlichen Aufschlags.
Langsam schritt er die Stufen hoch, die zu einer überraschend niedrigen Tür unterhalb des Balkons führten. Auf einer kleinen Messingtafel stand UNTERHAUS VON MASSACHUSETTS. Drinnen war es so kühl und dunkel, dass es sich beinahe klamm anfühlte. Zwei Soldaten in den grauen Wolluniformen der neuenglischen Kolonialmiliz standen Wache; beide trugen Karabiner an der Schulter. Sie wirkten gelangweilt. Zwei Treppen führten zu Galerien hinauf, die nach links und rechts in die Gebäudeflügel führten. Davor befand sich eine kreisrunde Marmorrezeption.
Hethor trat an die Rezeption heran. Ein riesiges Register lag aufgeschlagen auf dem Tisch, größer noch als das von Bibliothekarin Childress’ Büchern über Kunstgravuren. Eine gestochen saubere Handschrift hatte das Kommen und Gehen mächtiger Männer notiert. Der Foliant bildete die erste Verteidigungslinie für einen dürren Mann, der sich in einem dunklen Anzug und einem priesterlich wirkenden, steifen Kragen dahinter versteckte und Hethor ausdruckslos, aber mit verkniffenem Mund anstarrte.
»Der Dienstboteneingang ist auf der Chatham Street.« Die Stimme des Dürren klang so näselnd, wie es bei seinem Aussehen zu erwarten gewesen war. »Ich wäre dir dankbar, wenn du die Vorhalle Ihrer Lordschaft nicht verschmutzt.«
»Ich möchte Ihre Lordschaft gerne sprechen«, erwiderte Hethor bedächtig und verließ sich darauf, dass ihm schon irgendetwas einfallen würde, aber sein Vertrauen schien nicht belohnt zu werden.
»Einer von der Sondereinheit, hm?«
»Sondereinheit? Äh, ja ... genau.«
»Passwort?«
Passwort? »Ähem ... Albino-Tukan.«
»Hm ...« Der dürre Mann blätterte in einem kleinen Notizbuch, das er aus seiner Jackentasche gezogen hatte. »Ich verstehe.« Er hob den Blick und schaute an Hethor vorbei. »Sergeant Ellis. Wären Sie so freundlich, dieses Individuum zu inhaftieren, um es vernehmen zu lassen? Er behauptet, der Sondereinheit anzugehören. Ich gehe davon aus, dass Mister Phelps mit ihm reden möchte, ob es nun der Wahrheit entspricht oder nicht.«
»Jawohl.« Der kräftige Sergeant Ellis packte Hethor nicht gerade sanft am Arm. »Dann mal los.«
»Ich schlage den Blauen Salon vor«, lautete der hilfreiche Hinweis des dürren Mannes.
»Ich kenne mich aus«, knurrte Ellis, bevor er Hethor um die Rezeption herum zu einer Treppe führte, die unterhalb der Marmorstufen nach unten führte.
»Aber ich muss mit dem Vizekönig sprechen!«, protestierte Hethor, als Ellis ihn durch die Tür zerrte.
»Oh, das wirst du, das wirst du.« Ellis lachte leise.
Unterhalb der Vorhalle bestanden die Flure aus Ziegelsteingewölben, als wären sie wie ein Tunnel aus dem Stein geschlagen und nicht von Menschenhand erbaut. Zu beiden Seiten zweigten Räume ab, die in Hethors Augen wie Verliese aussahen. Ellis schubste Hethor ziemlich unsanft in einen dieser Räume. Er enthielt lediglich zwei Sofas, ein Schreibpult und ein kleines, schmutziges Fenster nahe der Decke, das nur wenige der morgendlichen Sonnenstrahlen hereinließ.
»Ich würde die Finger vom Schreibpult lassen«, knurrte Ellis ihn an. »Mister Phelps sieht’s nich’ gern, wenn Leute in seinen Sachen herumwühlen. Da rechts ist die Bar.«
Dann wurde die Tür zugeschlagen und mit vernehmlichem
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