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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Phelps zu haben und seine Zeichen zu beachten. Und lüg ja nicht vor diesem fiesen Lord William, um Himmels willen!«
    Dann stand Hethor in einem Flur voller geschminkter Männer mit Perücken, die auf einer Straße irgendwo in Neuengland völlig fehl am Platze gewesen wären. Entweder handelte es sich um den letzten Schrei aus London, oder es war eine völlig veraltete Modeerscheinung – Hethor hatte keine Ahnung. Die Herren bei Hofe trugen Mäntel aus Seidenbrokat in den schillernden Farben tropischer Blumen, die über Rüschenhemden und breiten Schärpen erblüht waren. Schlaghosen verdeckten hohe, glänzend geputzte Stiefel aus exotischen Ledersorten.
    Der Westinder hatte Hethor nicht begleitet, sondern die Tür hinter ihm zugezogen, nachdem er ihn auf den Flur geschoben hatte. So musste Hethor zwangsläufig dem Strom eitler Gecken in einen größeren Raum folgen, der zwei Stockwerke hoch und mit klassizistischen weißen Säulen versehen war. Der Duft von Weihrauch stieg an mehreren Stellen empor, vermutlich, um weniger angenehme Gerüche zu überdecken, und brannte in Hethors Nase. Auf einer Seite des Raumes – lag sie nach Süden? – standen sämtliche Fenster offen. Sie waren aus buntem Glas gefertigt. Farbige Flecken gefilterten Morgenlichts fielen in steilem Winkel in den Raum. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich Alkoven, die die Fensterform spiegelten; in den Nischen waren Statuen aufgestellt.
    Hethor fragte sich, ob sich ein Mitglied von Phelps’ Sondereinheit hinter diesen Statuen versteckte.
    Abgesehen von der prächtigen Kleidung und dem Fensterbuntglas schien der Raum nur eine größere Version einer für Neuengland typischen Versammlungshalle oder Kirche zu sein. Es gab noch ein paar weitere kleine Unterschiede – Stühle anstelle von Kirchenbänken, keine Kathedra auf dem Podium am anderen Ende des Raums –, aber dies hier war Neuengland, wie Hethor es kannte: seine Heimat. Er passte sich althergebrachten Traditionen und der Trägheit dieses Ortes an.
    Trotz des Gefühls der Vertrautheit hatte Hethor keine Ahnung, wo er hingehen sollte. Die Gentlemen bei Hofe folgten den Drehungen komplizierter Tanzbewegungen, die nur sie alleine kannten, und fanden ihre Sitzplätze, wie durch Zauberei herbeibeschworen, in einer Mischung aus Status, Rang und Funktion. Hethor fand sich plötzlich allein auf dem abgetretenen roten Teppich zwischen den Stuhlreihen wieder. Niemand schenkte ihm Beachtung, was viel beunruhigender war, als hätten alle ihn angestarrt.
    Hethor blickte zum anderen Ende des Raumes, wo vier weitere Soldaten in den grauen Uniformen Neuenglands an der hinteren Wand standen, die Karabiner geschultert. Neben ihnen standen jeweils zwei britische Berufssoldaten in leuchtend roten Mänteln über dunkelgrüner Wolle. In diesem gut geheizten Raum mussten sie unter der dicken Kleidung regelrecht kochen.
    Phelps trat aus einer Nebentür auf das Podium. Der kleine Mann trug sämtliche Farben des Regenbogens in einem bunten Seidenarrangement – rosa, blau, hellgrün und noch ein halbes Dutzend mehr –, das durch Unmengen an Spitze und einen riesigen, dazu passenden Hut betont wurde. Das Ergebnis war, dass er wie ein Kampfhahn aussah, der zu Ostern bemalt worden war, was einem würdevollen Auftritt keine Chance ließ.
    »Der Ehrenwerte Lieutenant-General Lord Devon de Courtenay«, rief Phelps mit einer Stimme, die ihm mit Sicherheit eine Karriere im Varieté ermöglicht hätte. »Ritter des Großen Verdienstkreuzes des Heiligen Michael und des Heiligen Georg. Orden der Wabash, durch Ihre Kaiserliche Majestät Victoria ernannt zum Vizekönig Neuenglands und der Amerikanischen Länder, Beschützer Kanadas und Hüter der westlichen Grenzen. Er sitzt heute en banc , um die Gebete und Aufrufe des Volkes Ihrer Kaiserlichen Majestät entgegenzunehmen.«
    Die stutzerhaften Gentlemen erhoben sich, begleitet vom Rascheln der Seide und dem Husten alter Lungen, als ein Mann in einer schlichten weißen Uniform hinter Phelps den Raum betrat. Er trug einen Stern in Rot und Blau an einem Band, und eine riesige zinnoberrote Schärpe zog sich über seinen Brustkorb. Ein abgenutztes silbernes Schwert baumelte neben seinen glänzend polierten Reiterstiefeln. Das adrette, aber schmucklose Auftreten des Mannes ließ jeden anwesenden Gentlemen allein seiner Kleidung wegen wie einen aufgeblasenen Lügner erscheinen – sah man von Hethor ab, der sich mit einem Mal inbrünstig wünschte, er hätte Phelps’

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