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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Blicken.
***
    Hethor fand sich in einem von Phelps’ Vernehmungsräumen wieder. Draußen auf der Straße polterte der Verkehr vorüber, ohne von seiner Notlage Kenntnis zu nehmen.
    Diesmal gab es weder Essen noch Getränke, nicht einmal den Anschein von Freiheit oder Höflichkeit. Nur die völlige Stille seiner Gefangenschaft. Immerhin hatten sie ihn nicht angekettet.
    Selbst das Ticken der Welt schien nun weit entfernt zu sein. Er hätte besser in New Haven bleiben, sich den Söhnen Meister Bodeans zu Füßen werfen und um Gnade winseln oder sich den Gerichten stellen sollen. Selbst ein Dieb oder Schuldner könnte seine Freiheit wiedererlangen. An diesem Ort schien es wenig wahrscheinlich, dass Hethor ihn je wieder verlassen würde. Dennoch verbrachte er eine Menge Zeit damit, sein letztes, verzweifeltes Gesuch zu formulieren.
    Es war spät am Morgen, wenn man den Winkel der schwachen Sonnenstrahlen betrachtete, die durch das kleine, vergitterte Fenster fielen, als draußen plötzlich die Vögel aufschrien, gefolgt von gespenstischer Stille. Selbst die Geräusche von der Straße waren nicht mehr zu hören. Gleichzeitig verwandelte sich das, was Hethor für den Schatten einer vorbeiziehenden Wolke gehalten hatte, in finsterste Nacht.
    Das dröhnende Geläut von Kirchenglocken durchbrach die Stille vor dem Fenster. Hunde heulten; Schüsse peitschten. Waren die Räder der Welt plötzlich stehen geblieben? Er war schon zu spät!
    Doch Hethor wusste, dass Boston in hellem Licht erstrahlen und nicht in Dunkelheit versinken würde, hätte die Hauptfeder sich in diesem Augenblick verklemmt.
    Mitten in dieser seltsamen, mittäglichen Dunkelheit öffnete sich die Tür. Obwohl Hethor sich ein Dutzend Mal versicherte, standhaft und kühn zu bleiben, egal was ihm geschehen mochte, quälten ihn Fragen über Fragen, als er sich schließlich umdrehte – um in dem Augenblick, als er sah, wer gekommen war, alles zu vergessen.
    William of Ghent.
    Der Zauberer trug nun Straßenkleidung, einen unauffälligen schwarzen Anzug und eine graue Krawatte. Er wirkte weder wie ein Gentleman noch wie ein Mystiker; er hätte genauso gut Teehändler sein können, der gerade von einer Auktion aus einem Lagerhaus an den Docks zurückgekehrt war.
    Der Blick seiner eisblauen Augen brannte sich in Hethors Inneres, wie die diamantbesetzten Bohrer in Meister Bodeans Werkstatt sich durch Metall fraßen.
    »Haben Sie das Ende der Welt herbeigeführt?«, platzte es aus Hethor heraus. Er hatte gehofft, ein anderes Thema zuerst anschneiden zu können.
    William wirkte überrascht. »Was? Du traust mir zu viel zu.«
    »Die Sonne ist verschwunden.«
    »Wir haben eine Sonnenfinsternis, Junge.«
    »Oh.« Verlegen schaute Hethor zu Boden. Er wusste sehr genau, was eine Sonnenfinsternis war. Die Eigenarten und Gesetze des Himmels gehörten zur Ausbildung eines Uhrmachers, und so hatte Meister Bodean nicht versäumt, Hethor dieses Wissen zu vermitteln.
    »Du denkst immer noch nicht nach.« Williams Tonfall klang nicht unfreundlich. »Genauso wenig wie heute Morgen bei der Audienz. Ich befürchte, das war eine schlechte Idee.«
    Hethor starrte noch immer auf den schmutzigen Fußboden. Er begriff, dass es sich bei dem dunklen Fleck vermutlich um Blut handelte. »Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht«, murmelte er.
    »Mister Phelps hat mir mitgeteilt, dass du weder ein Wahnsinniger noch ein Narr bist. Wäre dem so gewesen, hättest du es diese Treppe gar nicht wieder hinaufgeschafft.« Der Zauberer wirkte mitfühlend. »Was hättest du dir gewünscht?«
    »Eine ehrliche Audienz.« Hethor sah auf zu ihm. »Dass mir jemand wirklich zuhört. Ich sage nichts als die Wahrheit, Sir, die reine Wahrheit.«
    »Niemand kommt an den Hof, um die reine Wahrheit zu sagen, Junge.« William durchmaß den Raum mit schnellen Schritten. »Die Frage nach dem Himmel ist kompliziert. Die Schöpfung ist gewiss nicht zu leugnen, aber einige sehen Gott in jedem Schatten und jedem Sonnenaufgang.« Ein Mundwinkel zuckte zu einem kurzen Lächeln nach oben. »Vielleicht sogar in einer Sonnenfinsternis. Andere empfinden Seine lange Abwesenheit als vielsagend. Bist du Rationalhumanist?«
    »Ich ... ich weiß es nicht.« Hethor wollte nichts mit dem Glauben zu tun haben, dem Pryce Bodean folgte. Außerdem hatte er den Beweis für die tägliche Anwesenheit des Göttlichen in allen menschlichen Angelegenheiten in Gestalt Gabriels vor sich stehen sehen. Doch die Sichtweise der Spiritualisten

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