Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
erwiderte.
»Wie dir mittlerweile klar sein sollte, bin ich nicht nur Offizier in der Royal Navy Ihrer Kaiserlichen Majestät.« Malgus seufzte. »Als ich meinen Dienst antrat, habe ich einen Eid geleistet, den ich auch weiterhin sehr ernst nehme. Zugleich folge ich einer anderen, höheren Berufung.«
Nichts ist höher als dieser Ort, dachte Hethor, nur die Räder selbst.
Malgus fuhr fort: »Auf der anderen Seite der Äquatorialmauer befindet sich die Südliche Welt. Sie unterscheidet sich stark von unserer streitsüchtigen, industrialisierten Welt im Norden. Wo wir rauchende Mühlen und arbeitende Kinder und große Städte aus Ziegelstein und Holz haben, verfügt die Südliche Welt über Wälder, die unsere Kathedralen an Größe übertreffen und deren Bewohner Elend und Not nicht kennen und für ihr tägliches Brot nicht arbeiten müssen. Wo wir im Norden rivalisierende Imperien haben, deren Armeen die Luft mit dem Krachen ihrer Kanonen erfüllen, erzittert die Südliche Welt unter den donnernden Hufen riesiger Tiere, die ihre endlosen Ebenen durchwandern. Wo sowohl England als auch China versuchen, sich die Schöpfung untertan zu machen, reicht es der Südlichen Welt, im Einklang mit Gottes Schöpfung zu leben, wie jeder Mensch es tun sollte.«
»Sind Sie Agent des Südens?«
»Nein, nein.« Malgus schüttelte verärgert den Kopf. »So einfach ist das nicht. Es gibt keinen ›Süden‹, der einem China oder einem England vergleichbar wäre. Es gibt nur verschiedene Spezies, wie die haarigen Menschen und diejenigen unter ihnen, die fliegen können, und sie leben Seite an Seite mit Menschen, die uns sehr ähnlich sind. Es gibt Tiere und Wälder und Meere, unberührt von Stahl und Flaggen. Wenn ich ein Agent bin, dann vermutlich ein Agent der Schöpfung.« Er verstummte für einen Augenblick; dann warf er Hethor einen Blick zu, der ruhelos, beinahe gequält wirkte. »Aber es stimmt schon, dass ich zum Teil den Interessen der Bewohner der Südlichen Hemisphäre diene.«
Hethor hatte seine Zweifel an dieser Aussage, brachte es aber nicht über sich, empört zu sein. »Aber der Königin dienen Sie auch?«
»Auf praktische Art und Weise«, sagte der Abt in freundlichem Tonfall. »Urteile nicht zu schnell über ihn. Malgus hält von Zeit zu Zeit mit mir Rat. Es gibt auf beiden Seiten der Mauer gewisse ... sagen wir, Gegenstücke zu mir. Jede Seele hat in der Schöpfung ihren Platz. Einige von uns erhaschen zuweilen einen Blick darauf, wie die Seelen miteinander verbunden sind.«
Er würde keinen höheren, heiligeren Ort als diesen finden, erkannte Hethor. Soweit er es beurteilen konnte, hatte Malgus niemals sein Vertrauen missbraucht, zumindest nicht direkt, obwohl Kapitän Smallwood wahrscheinlich anders darüber dachte. Nichtsdestotrotz war der Abt des Jade-Tempels Gott viel näher, als Hethor es jemals sein würde.
»Sie sind also ein Heiliger, und Malgus ist würdig. Aber was ist mit mir? Mindestens drei Männer sind gestorben, um mich hierher zu bringen. Warum?«
»Warst du nicht schon auf dem Weg nach oben?«, fragte der Abt sanft.
»Ich suche nach dem ...« Seit der Katastrophe am Hof des Vizekönigs in Boston war Hethor mit seiner Geschichte sehr bedächtig umgegangen. Vielleicht war es an der Zeit, seine Erzählung wieder in Worte zu fassen. »Ich habe den Erzengel Gabriel getroffen«, platzte er heraus. »Er ist mir in New Haven mit einer Nachricht erschienen. War er einer der geflügelten Wild ... Flieger?«
»Bist du ein Wilder?« Die Augen des Abts funkelten vor Erheiterung.
»Nein. Aber ich ähnele auch nicht einem Engel.«
»Es gibt hier auf der Mauer und in der Südlichen Welt viele verschiedene Spezies«, sagte Malgus. »Verschiedene Abbilder von Gottes Willen, könnte man sie nennen. Aber wenn dein Engel zu dir gesprochen hat, gehörte er nicht zu den Geflügelten. Diese Kreaturen mögen Menschen ähneln und über eine gewisse Intelligenz verfügen, aber sie können nicht reden. Ihre Gaben liegen auf anderen Gebieten. Und ihre Dienste.«
»Engel sind nur das, was du aus ihnen machst«, sagte der Abt.
»Hier oben im Himmel, so nahe an den Rädern, hören wir die Stimme Gottes jeden Tag, wenn die Schiene der Welt über uns hinwegdonnert. Ich selbst habe niemals einen Boten des Himmels gesehen, aber es gibt genügend Zeichen dafür, dass der Wille Gottes unsere Welt beherrscht.« Er beugte sich leicht vor und schien mit einem Mal von Eifer gepackt zu sein. »Wenn du wirklich einen Engel
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