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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Südlichen Hemisphäre zu Fuß zu überwinden. Und das würde nur möglich sein, wenn seine Füße bald verheilten und er im verfallenen Tempel neue Stiefel fand. Außerdem musste er jedes Erdbeben, jeden Feind und alle anderen Unbilden überwinden.
    Doch seine Angst vor dem Sprung war groß.
    Dann bemerkte er, dass sich ihm die kleinen, haarigen Menschen in ihrer zerlumpten Kleidung näherten. Sie warfen Steine und Mist nach ihm. Einige trugen große Stöcke, die sie wie Speere oder Schlagwaffen benutzten.
    Deshalb also hatte Malgus sich so beeilt. Er war davon ausgegangen, auf Widerstand zu treffen. Allein und verletzt konnte Hethor diese Wesen nicht abwehren. Und da er taub war, konnte er auch nicht mit ihnen verhandeln.
    Kurz entschlossen drehte Hethor sich um, stieg unter stechenden Schmerzen auf die Marmorbrüstung und ließ sich fallen. Dabei schrie er so laut, dass es in seinem Schädel wehtat, obwohl er taub war.
***
    Die Luft schlug Hethor wie ein wütender Sturm ins Gesicht und zerrte an seinem Körper. Er ahmte Malgus’ Körperhaltung nach und stellte fest, dass er dem Navigator in die Tiefe folgen konnte, indem er seinen Sturz mit Hilfe der Arme und Beine steuerte.
    Bitterkeit erfasste Hethor. Das Blauschwarz des Äthers, das sich nähernde Feuer der Sonne, die Wölbung der Erde unter ihm – dies alles waren Symbole seines Versagens. Er war verletzt und taub, befand sich auf der falschen Seite der Mauer und würde Malgus unweigerlich aus den Augen verlieren.
    Er, Hethor, hatte den Erzengel Gabriel im Stich gelassen und dadurch das Tetragramm verraten. Jetzt fiel er durch die dünne Luftschicht, die die Äquatorialmauer umgab, und würde ein Land erreichen, von dem er vermutlich nicht einmal den Namen wusste.
    Hethor blickte nach unten und sah, wie die Wolken und der Ozean in der Tiefe langsam größer wurden. Malgus schien in Richtung Küste zu steuern. Wahrscheinlich war eine Hafenstadt sein Ziel. Vorausgesetzt, die Menschen in der Südlichen Hemisphäre machten sich etwas aus Schifffahrt.
    Knapp eine Stunde später öffnete Malgus seinen Fallschirm. Erst in diesem Moment wurde Hethor bewusst, dass er nicht wusste, wie sein eigener Fallschirm zu öffnen war. Die Strahlen der aufgehenden Sonne brachen sich an seinen fast erfrorenen, blutigen Händen, als er hektisch nach Druckknöpfen, Riemen oder Griffen suchte, die es ihm ermöglichten, den Fallschirm zu öffnen.
    Nichts. Er fand nichts.
    Wieder schrie Hethor seine Verzweiflung heraus, obwohl Malgus viel zu weit entfernt war, um ihn zu hören, und außerdem nach Osten abdrehte, während Hethor pfeilschnell an ihm vorbei nach unten stürzte.
    Was konnte er tun? Wie konnte er den Tod diesmal betrügen?
    Er zog die goldene Tafel unter seiner warmen Kleidung hervor und betrachtete die hingekritzelten Buchstaben. Dann drückte er sich die Tafel an die Brust, während er die wenigen verbleibenden Sekunden seines Lebens abzählte. Der Tod würde ihn mit offenen Armen empfangen – oder jemand fing ihn auf. Immerhin hatten die geflügelten Todesboten ihn schon einmal gerettet.
    Seine ohnehin verletzten Fußgelenke wurden ihm fast abgerissen, als zwei der geflügelten Wilden ihn tatsächlich zu fassen bekamen. Ihre Flügel schlugen kräftig, um Hethors Sturz abzubremsen. Er drehte sich in der Luft, bis sein Kopf nach unten zeigte. Die goldene Tafel rutschte ihm aus der Hand. Sie fiel wie eine kleine, quadratische Sternschnuppe in die Tiefe und verschwand im Meer.
    Hethors Retter änderten ihren Griff und hielten ihn zuerst an den Waden, dann an den Oberschenkeln fest, um nicht mehr Gefahr zu laufen, seinen Körper auseinanderzureißen. Für Hethor war dies alles ohne Belang. Er schloss die Augen, betete und dankte dem Herrn für sein Leben – auf so innige Weise wie seit seiner Kindheit nicht mehr.
    Doch die Worte Gottes zum zweiten Mal zu verlieren, schien fast so schlimm zu sein, wie sein Leben zu verwirken und auf seiner Mission zu scheitern.
    Schließlich änderten die geflügelten Wilden erneut ihren Griff und packten Hethor an Armen und Oberkörper. Eine Zeit lang flogen sie mit ihm über einen verschlammten Küstenstrich, dann über eine endlos wirkende Landschaft aus Urwaldbaumwipfeln, die sich kaum von Guyana unterschied. Hethor fragte sich, ob die Südliche Hemisphäre eine Art Spiegelbild der Nördlichen sein könnte – bis er vor Erschöpfung einschlief.
***
    Noch während des Fluges erwachte Hethor. Er und seine Retter überquerten soeben

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