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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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seine Müdigkeit berufen und sich zur Ruhe begeben.
    »Wir beginnen dies bei Nacht, weil die Sonne sich von der Welt abgewandt hat. Einige Kräfte nehmen ohne ihr Licht zu, während andere schwächer werden.«
    Paolina erkannte ihre Worte sofort als das, was sie bedeuteten. »Ihr wollt sagen, dass es bei Eurer Art der Zauberkunst weniger Einschränkungen gibt.«
    »Genau«, sagte Gashansunu anerkennend, wenn auch offensichtlich nur widerwillig. »Es ist möglich, mit seinen Nachbarn gemeinsam zu singen, es ist möglich, alleine auf dem Dach zu sitzen und zu singen, und es ist möglich, der Musik der Welt allein zu lauschen. Keine dieser Betätigungen ist falsch. Keine ist besser als die andere. Doch sie alle tragen unterschiedliche Bedeutungen in sich, stellen unterschiedliche Ansprüche, fallen unterschiedlich ins Gewicht.«
    »Was werden wir auf diesem Dach singen?« Paolina war noch nicht klar, wohin dies führen sollte.
    »Ich werde Euch die Schweigende Welt von innen zeigen«, antwortete Gashansunu. »Dies wird Euch sicherlich dabei helfen, zu verstehen, wie der Schimmer genutzt und missbraucht werden kann.«
    »Wenn ich den Schimmer verwende, dann sehe ich die Welt in, nun ja, verschiedenen Ebenen. Ich sehe Zahnradgetriebe, die aus unzähligen kleineren Zahnradgetrieben bestehen. Er zeigt mir die Natur der Dinge, ihren wahren Kern.«
    »Ihr werdet Zeuge eines unvollkommenen Abbilds der Schweigenden Welt«, antwortete Gashansunu. »Es gibt Schichten. Darüber, darunter, bis ganz nach unten.«
    »Was liegt ganz unten?«
    »Man kann einen Kreis von einem beliebigen Punkt aus ausmessen. Was liegt am Ende?«
    »Also … gibt es kein Unten?«
    Gashansunus Antwort klang erzwungen ruhig. »Wenn man seine Suche ausführlich genug durchführte, würde man oben wieder herauskommen, doch nicht alle Ebenen sind gleich. Die Schweigende Welt ist die wahre Welt. Die Menschen leben in der Schattenwelt, die nur ein Spiegelbild der Schweigenden Welt ist. Oder besser ausgedrückt: eine Projektion. Das, was sich in der Schweigenden Welt in Perfektion befindet, kann hier in unvollkommener Kopie in der Welt betrachtet werden; die Menschen, die Absichten, die Ziele.«
    Paolina musste die offensichtliche Frage stellen. »Wenn die Schweigende Welt perfekt ist, warum verweilt Ihr dann in dieser Welt?«
    »Weil ich unvollkommen bin«, antwortete Gashansunu sofort. »Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, die Schweigende Welt betreten zu können, aber ich bin dort nicht willkommen. Zumindest noch nicht, sosehr meine Seele danach auch verlangt.«
    Paolina vernahm mit Genugtuung, dass die Sünde des Stolzes nicht nur in der Nördlichen Hemisphäre zu Hause war. »Wie werdet Ihr mir diese Schweigende Welt zeigen?«
    »Schaut zu«, befahl ihr Gashansunu. »Weicht nicht von meiner Seite.«
    Sie schlang ein geflochtenes Silberband um Paolinas Handgelenk, bevor sie es auch um ihr eigenes legte. Sie standen sich nun so nah gegenüber, dass sie sich hätten berühren können, wäre das notwendig gewesen. Gashansunu schloss ihre Augen und begann zu summen. Etwas kräuselte sich um die fremde Hexenmeisterin, nicht ganz greifbar, nicht ganz sichtbar, aber am Rande der Wahrnehmung zu verspüren.
    Das ist Magie , dachte Paolina. Wahre Magie, vor meinen Augen.
    Sie blinzelte und befand sich an einem anderen Ort.
    Die Landschaft hatte sich nicht verändert, aber sie war anders.
    Dieser Gedanke ergab keinen Sinn. Dennoch entsprach er der reinen Wahrheit.
    Ming glühte schwach, ebenso Arellya. Gashansunu leuchtete wesentlich heller und wirkte doch zugleich verhüllt. Paolina sah auf ihre eigenen Hände. Licht entströmte ihnen, trat durch die Poren ihrer Haut hervor.
    Die Präsenz um Gashansunu war nun viel deutlicher zu erkennen – ein Zwilling, aber selbst hier substanzlos. Eine Kopie Gashansunus, die so dunkel war wie Gashansunu hell war und auf die gleiche Weise verhüllt.
    Tiere erschütterten die Substanz der Schweigenden Welt, als sie schnell und funkelnd an ihnen vorbeizogen. Die Träume der Bäume manifestierten sich als langsame, aber wohlüberlegte Kräuselungen, wohingegen die Erinnerungen der Steine und des Bodens unter ihren Füßen sich gemächlicher bewegten als Ebbe und Flut.
    Hier lebte alles .
    Sie sah gen Himmel. Das Messingband der Erdumlaufschiene zeichnete sich als winziges Lichtband ab, das sich von Horizont zu Horizont zog. Das große, erdrückende Gewicht des Planeten, das auf die Erdumlaufschiene wirkte, zeichnete es als

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