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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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schließen.
    »Ich habe nichts verraten.« Ist das die Wahrheit?
    »Der Fang war so gut wie sicher. Sie haben sie gehen lassen und dann das Schiff gekapert.«
    »Was!?« Er war entsetzt. »Ich stand an der Reling achtern und blickte zur Küste, als Kapitän Shen uns aufs offene Meer steuerte. Wie soll ich da etwas gekapert haben?« Wang war auch verwundert, dass er so gut sprechen konnte. Er schien noch alle Zähne zu besitzen, mit denen er heute Morgen aufgewacht war, obwohl seine Zunge stark geschwollen war.
    Wu blickte zur Seite, als ob an anderer Stelle wichtigere Dinge geschähen, sah dann Wang aber wieder an. »Sie haben das Steuer gewaltsam an sich gerissen und dem Kapitän gedroht.«
    »Der Kapitän hat vor nichts Angst außer dem Kô.« Wang konnte seinen Zorn nicht verheimlichen. »Und ganz bestimmt nicht vor einem kleinen, fetten Mann aus den Bibliotheken.«
    »Nichtsdestotrotz«, antwortete Wu, »ist genau das geschehen.«
    »Ich … ich weiß, dass wir keine Freunde sind.« Der Katalogisierer suchte nach den passenden Worten. »Aber wir sind auch keine Feinde. Sie sind das einzige Mitglied der Besatzung, das mit mir mehr als nur die notwendigsten Worte wechselt.«
    »Geister.«
    Ermunterte ihn der Maat? Wang versuchte seinem Beispiel zu folgen. »Ihr seid keine Geister. Ihr seid Männer, die den strengen Regeln des Gesetzes unterliegen. Eure Namen sind nicht reingewaschen worden, und euer angestammter Platz ist verloren. Doch eure Herzen schlagen, eure Lungen atmen Luft, und ihr blutet, wenn man euch mit einem Messer schneidet. Ich bin nicht anders, außer dass mein angestammter Platz nichts mit eurem Schiff und euren Eiden gegenüber dem Kô zu tun hat.«
    » Sie sind kein Geist«, sagte Wu mit einem schwachen Lächeln.
    »Nein, das bin ich nicht. Sie aber auch nicht. Es gibt nur einen wirklichen Geist hier an Bord – den Mönch. Sie huscht wie Morgennebel an uns vorbei. Ich weiß, dass Sie sie gesehen haben. Der Mönch hat Einfluss auf den Kapitän ausgeübt, und irgendwie sind wir auf die offene See hinausgefahren.«
    Der Maat schaukelte vor und zurück. »Nehmen wir mal an, Sie wären der Kapitän eines Schiffs, das einem nahen Verwandten des Kaisers gehört. Nehmen wir einmal an, dass Ihr Besitzer nach Gutdünken über Ihr Leben zu entscheiden hätte, denn Sie sind bereits wegen eines unverzeihlichen Verbrechens zum Tode verurteilt worden. Stellen Sie sich vor, Sie werden auf eine äußerst wichtige Mission entsandt; zusammen mit einem dummen kleinen Kerl, der frühmorgens nicht einmal einen vernünftigen Tee zustande bringt. Und gehen wir schließlich einmal davon aus, dass Sie tatsächlich von einem Geist angegriffen werden, der Ihnen Ihre Beute im allerletzten Augenblick aus den Händen schnappt. Nun, glauben Sie wirklich, dass dieser enge Verwandte des Kaisers, der für seine eigensinnige Art und seine Verachtung für Versager berüchtigt ist, irgendwelchen hanebüchenen Geschichten über Geister im Ruderhaus Glauben schenken wird? Oder dass er Ihnen Fehler bei der Navigation abnimmt, die nicht einmal ein Kleinkind begehen würde? Meinen Sie nicht auch, dass der besagte enge Verwandte des Kaisers nicht vielmehr einer Erzählung Glauben schenken wird, in der es um den Verrat und die Torheit eines kleinen, dicken Manns aus den Bibliotheken geht. Eines Mannes, der ohnehin dafür bekannt ist, ein Feigling zu sein? Wenn Sie Kapitän Shen wären, mit welcher Geschichte würden Sie vor Ihren Herrn treten wollen?«
    »Wenn ich so feige bin«, fragte Wang leise, »wie ist es dann möglich, dass ich nicht nur den Kapitän dieser Motorjacht überwältigen, sondern auch noch die gesamte Besatzung lange genug von einem einhändigen Mann fernhalten konnte, bis dieser sich selbst und unsere Beute in einem Ruderboot in Sicherheit brachte?«
    »An der Geschichte müssen wir noch feilen«, gab Wu zu. »Wie schön, dass wir eine lange Seereise vor uns haben. Kapitän Shen wird ein Schiff voller Zeugen haben, wenn er dem Kô Bericht erstattet.«
    »Kehren wir geschlagen zurück?«
    »Natürlich nicht.« Der Maat schien überrascht. »Wir suchen weiter nach der Five Lucky Winds . Sollten wir das Unterseeboot entdecken, dann werden wir unseren kleinen, dicken Mann aus den Bibliotheken zu einem Gespräch mit dessen englischer Herrin schicken. Sollten wir das Unterseeboot nicht finden, dann haben wir unseren Schuldigen bereits zur Hand.«
    Wang musste zugeben, dass diese Situationsbeschreibung nicht einer gewissen,

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