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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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brodelte über die leichenblassen Lippen, und eine laute, krächzende Stimme war zu hören. »Sie sind der Sonderbeauftragte.«
    Kitchens bemerkte, dass ihre Lippenbewegungen nicht mit den Worten übereinstimmten. »Das bin ich«, antwortete er. »Eurer Aufmerksamkeit nicht würdig.«
    »Krieg wird kommen«, tönte aus den Lautsprechern. Wieder bewegten sich ihre Lippen, aber nicht zeitgleich zu den Worten. »Die Schlitzaugen sind uns einen Schritt zuvorgekommen.«
    »Jawohl, Eure Majestät.« Kitchens beobachtete sie aufmerksam, denn er war sich keineswegs sicher, dass das, was er in diesem Behältnis sah, etwas mit dem zu tun hatte, was er da hörte.
    Sie wälzte sich leicht in ihrem Tank hin und her, wie ein Baumstamm, den die Ebbe hin und her schiebt, bis das berühmte Profil zu erkennen war – Kinn, Nase und Wangen. Das Grauen, das von ihrem Schädel ausging, war alles andere als vertraut.
    »Sie haben den Schotten vorbereitet, den wir zuerst entsandt haben.« Das eine verweste Auge, das er sehen konnte, huschte hin und her. »Folgen sie ihm und dem Deutschen. Wir haben sie zum denkbar unglücklichsten Augenblick verloren. Lassen Sie sie Unseren Willen wissen, und bringen Sie Uns von ihnen Nachricht.«
    Kitchens fragte nicht, warum er dazu auserwählt wurde, denn das war die eine Frage, die keiner der Sonderbeauftragten jemals stellte. Er fragte nicht, warum es Afrika und die Mauer sein musste, denn die Antwort darauf kannte er bereits. Hätte er den Mut dazu aufgebracht, dann hätte er nur eine Frage gestellt: Warum hatte ihn die Königin – oder ihre Hofbediensteten – an ihr Krankenbett bestellt? An ihren Lagertank. Sein Verstand brachte das Wort kaum übers Herz.
    Eine kurze Notiz hätte denselben Effekt gehabt, nur ohne das Grauen.
    »Ich werde sofort aufbrechen, Eure Majestät.« Er hauchte die Worte zärtlich, fast liebevoll.
    »Die Schlitzaugen kommen uns im entscheidenden Augenblick zuvor. England wird untergehen, wenn wir uns ihnen nicht entgegenstemmen. Sie müssen die Geheimnisse lüften. Doch zuerst …« Die Lautsprecher verstummten mit einem grollenden Zischen. Sie drehte sich zurück, um ihn anzusehen, und zuckte dann mit den Achseln. Eiskaltes, blasses Fett ließ sich unter den dunklen Flüssigkeiten nur erahnen. Ein Arm kam zum Vorschein, der wie ein Nierenfettkuchen glänzte, und bewegte sich krampfend und langsam auf etwas unterhalb von Kitchens’ Blickrichtung zu.
    Bolzen glitten mit einem deutlichen Schnappen zurück. Das laute Zischen eines Druckausgleichs war zu hören. Ein Teil des Behälters löste sich. Kitchens wurde klar, dass es sich um eine Luke handeln musste, in deren Mitte sich das kleine quadratische Fenster befand.
    Hinter ihm wimmerte Daphne. Dr. Stewart murmelte Verwünschungen vor sich her.
    Die Luke öffnete sich, und der tropfende, alte Arm des Empire reichte nach oben. Kitchens ergriff die verkümmerte Hand. Die Queen packte so fest zu, dass er Angst um seine Finger hatte. Sie hielt seine Hand, wie nur eine Geliebte es vermochte, die ihm den Tod bringen konnte; sie hielt seine Hand lange, bevor sie sie wieder freigab und sich in die Sicherheit ihres Behältnisses zurückzog.
    Einen Augenblick später schloss sich die Luke. Die Bolzen schnappten zu. Eine Pumpe erwachte zitternd zum Leben, um den notwendigen Druck wiederherzustellen.
    »Das tut sie nur selten«, sagte Dr. Stewart hinter ihm. »Manchmal bekommen wir sie nicht einmal dazu, selbst wenn es nötig ist.«
    Kitchens drehte sich um und bemerkte, dass er etwas Feuchtes in seiner Handinnenfläche hielt. Seine Hand schmerzte immer noch von ihrem Griff. »Warum!?«
    »Weil England sie braucht«, sagte Stewart.
    »Die Bedürfnisse des Empire sind die Bedürfnisse vieler«, krächzte es aus den Lautsprechern. Die Stimme wirkte auf Kitchens immer fremdartiger. Er sah Daphne an, die sich mit der Nadel in den Oberschenkel stach, durch ihr Kleid hindurch. Er blickte dann zu Stewart hinüber, dessen Monokel beschlagen war.
    Kitchens kehrte durch den dunklen, stinkenden Raum zurück zu den Vorhängen und an den Vorhängen vorbei in den Korridor, wo der wütende Schotte stand. Nun verstand der Sonderbeauftragte den Zorn dieses Manns.
    »Du hast es selbst gesehen«, sagte er mit schneidender Stimme.
    »Ja.« Sie gingen denselben Weg durch Blenheim Palace zurück. Obwohl Kitchens gelernt hatte, geduldig zu sein, konnte er sich die nächste Frage nicht verkneifen. »Wie viele wissen es?«
    »Nur für eine ist es wirklich

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