Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
Archivaren, Papiermachern, Buchbindern und Schreiberlingen war in hektische Betriebsamkeit ausgebrochen.
Seine Besitztümer bestanden praktisch nur aus einer kleinen Seidenrolle – viel hatte man einfach weggeworfen oder ihm weggenommen, um es Wang bei seiner Rückkehr wiederzugeben, auch wenn ihm das mittlerweile sehr unwahrscheinlich erschien –, und seine Aufgaben hatte man Yoo Wing-Chou übertragen, seinem Stellvertreter. Ihm war sonst nur noch die kleine, runde Statue einer uralten Göttin geblieben, die er in einer Tasche verborgen hatte, bevor seine Zimmer von niederen Bediensteten gereinigt worden waren.
Der Kô löschte Katalogisierer Wang in aller Gründlichkeit aus der Goldenen Brücke. Wang hatte keinen Grund, sich zu beklagen, denn er war mit einem Kopf auf seinen Schultern aufgewacht.
»Du bist ganz schön ins Fettnäpfchen getreten, hm?«, fragte ein Mann und unterbrach Wangs Gedankengang.
Zu seiner Überraschung stand neben ihm am Bug ein Mönch. Die Matrosen hatten den Katalogisierer nicht bedroht, ihn aber auch nicht gerade willkommen geheißen. Der Bug schien ihm der sicherste Ort zu sein, denn er war seit ihrem Ablegemanöver, bei dem sie von hier aus sorgfältig die Tiefe des engen, gewundenen Hafens ausgelotet hatten, verlassen gewesen. Wang war als Junge klein, dick und langsam gewesen. Er wusste genau, dass eine unbeliebte Person Ärger bekommen konnte, wenn jemand anderes zu dem Schluss kam, dass sie sich am falschen Ort befand.
»Ich weiß nicht«, sagte Wang mit untypischer Ehrlichkeit. In seiner Jugend, als er seinen Dienst am Drachenthron angetreten hatte, war ihm beigebracht worden, dass es so wenig wie möglich zu sagen galt, denn irgendjemand würde dich sonst irgendwann für deine Worte zur Rechenschaft ziehen.
Der Mönch lächelte, während er in einem Lederbeutel kramte, den er über seinem safranfarbenen Gewand trug. »Ah!«, rief er schließlich aus und zog eine kleine Jadepfeife hervor.
Ein kleinerer Beutel folgte. Der Mönch stopfte seinen Tabak mit einem dreckigen Finger fest und zündete dann ein Streichholz an. Sehr englisch , dachte Wang. Ein langsamer, tiefer Atemzug ließ die Glut aufleuchten und tauchte das Gesicht des Mönchs in orangefarbene Töne.
In diesem Augenblick bemerkte er, dass er mit einer Frau gesprochen hatte. Die aufflackernde Glut hatte ihre Wangen genügend erhellt, dass er an ihrem Gewand, dem rasierten Kopf und der vom Wind rissigen Gesichtshaut vorbeisehen konnte.
»Sie …«, sagte er und unterbrach sich dann.
»Ja, ich bin Mönch.« Sie nahm einen weiteren langen Zug aus ihrer Pfeife. Es roch nicht nach Opium, sondern nach einem anderen widerwärtig süßen Kraut.
Hanf natürlich.
»Sie sind ein Mönch«, sagte er und schloss dann den Mund. Was ging ihn das an? Er war ohnehin schon verloren und von seinem angestammten Platz innerhalb der Ordnung aller Dinge gestoßen worden, nur weil ein Mann, der Wangs Tod aus purer Langeweile hätte befehlen können, über ihn verärgert war. Sicherlich wusste der Kô genau, wer sich auf seinem Schiff befand.
»Die Welt zeigt uns mit unbeantworteten Fragen unsere Grenzen auf.«
»Die Welt lehrt uns mit unhöflichen Mönchen Demut.«
Darüber musste sie lachen, doch der Wind heulte auf und übertönte ihre Stimme. Die Fortunate Conjunction glitt rasch durch die nachtdunklen Gewässer der Kepualuan-Riau-Inselgruppe.
Ihre Reise nach Phuket würde selbst mit dieser schnellen Jacht sehr lange dauern, da war er sich sicher.
Die Frau bot Wang ihre Pfeife an. Er schüttelte seinen Kopf. Es hatte ihm nie etwas gebracht, zu rauchen oder zu trinken. Sein scharfer Verstand war ihm immer zu wichtig gewesen, als dass er ihn mit derartigen Versuchungen hatte vernebeln lassen wollen.
Ohne seinen Verstand war er niemand.
»Sind Sie ein Freund des Kô?«, fragte sie nach einiger Zeit.
»Haben Sie ihn schon mal getroffen?«, platzte es aus Wang heraus. Entsetzt bedeckte er seinen Mund mit beiden Händen.
»Selbst der Drache vor den Toren zur Hölle hat Freunde. Ich hätte vielleicht fragen sollen, ob Sie den Kô als Menschen kennen.«
»Nein«, sagte Wang und sprach nun langsamer. Er hatte sich gegenüber dieser Frau bereits mehrfach verraten, wenn sie einflussreichen Männern nahestand. »Ich kenne ihn nur als Drache vor den Toren.«
Sie grunzte, beendete ihre Pfeife und klopfte die Asche in ihren Beutel ab. Farblose Fische schwammen hüpfend vor dem Burg und flüchteten sich in den Schutz ruhigeren
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