Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
drei mal drei Mündern wie das Lied der Meerjungfrauen und Wassermänner erscholl. Obwohl Gashansunu ihnen zuhörte, bis ihr die Ohren schmerzten, hörte sie doch immer nur die einzelnen Stimmen, nie das Lied in seiner Gesamtheit.
Drei
Als die Sonne unterging, ließ er sie abnehmen und
in die Höhle werfen, in der sie sich versteckt hatten.
Dann wälzten sie große Steine vor den Eingang.
Sie liegen heute noch dort.
Josua. 10: 27
Boas
Chin Yuens Feuer am Strand ließ seine unruhig flackernden Flammen weiterhin gen Himmel steigen, doch Boas verlor die Luftschiffmatrosen auf ihrer Düne schon bald aus den Augen. Er wünschte ihnen alles erdenklich Gute, egal was sie mit ihrem Leuchtfeuer herbeizurufen hofften.
Boas wusste, dass er als Mensch hätte müde sein müssen, doch Messing hatten keine Muskeln, kein Blut und verfügten auch nicht über diese kleinen Heizkessel aus Fleisch und Knochen, die Menschen und Tiere antrieben. Das Siegel Salomons in ihren Köpfen reichte aus, um eine Lebensdauer zu garantieren, die das Dutzendfache eines Menschen betrug. Doch selbst seine Spezies musste Metall von Zeit zu Zeit abkühlen, Gelenke lockern und Schmiermittel ihre Arbeit tun lassen.
Am wichtigsten aber war es vielleicht, seine Gedanken zu ordnen.
Die Messing fragten sich, warum König Salomon ihnen das Geschenk gemacht hatte, ausruhen zu müssen. Einige behaupteten, es wäre für sie als Spezies dann möglich, den Zeiten der Menschen zu folgen und einen gemeinsamen Rhythmus zu leben. Andere meinten, dass es eine Notwendigkeit war, um den Weltplan von JHWH nicht durch intelligente Wesen in Gefahr zu bringen, die keinen Schlaf benötigten, denn das Göttliche hatte nur sprechende, denkende Wesen erschaffen, die jeden Tag in die Tiefen ihrer Traumwelten hinabstiegen. Selbst die Monster, die hoch oben an der Mauer lebten, hatten ihre Höhlen und Nistplätze.
Boas hielt es eher mit der Theorie, dass König Salomon die Messing deswegen an den Träumen der Menschen teilhaben ließ, damit ihr Verstand sich des Müßiggangs hingeben und die Landschaften des Bewusstseins ohne Absicht oder Ziel durchstreifen konnten. Aus Träumen entstanden Prophezeiungen, mit ihnen kam Verständnis – und somit auch die Grundlagen der Seele.
Der Sand unter seinen Füßen fühlte sich glitschig und spitz zugleich an. Boas war wie alle Messing so geformt worden, dass sein Äußeres mit Muskeln überzogen zu sein schien. Man hatte ihn mit den notwendigen Röhrchen und Öffnungen versehen, durch die Kabel und Bänder gezogen werden mussten, damit er sich einwandfrei artikulieren konnte. Sein Tastsinn war so fein, dass er mit jedem Schritt spürte, wie tausend mal tausend Sandkörner über seine Fußsohlen kratzten. Der Wind setzte ihm merklich zu; so sehr, dass, wenn er für längere Zeit einfach stehen geblieben wäre, wie damals weit im Westen der Mauer, sein Äußeres sicherlich bald von den Folgen gezeichnet gewesen wäre. Sammelte sich in seinen Gelenken zu viel Sand an, ohne dass er im Palast der Autorität in Ophir angemessene Wartung erhielte, dann würde er schlussendlich zu funktionieren aufhören.
Ohne den Mond zeigte sich am Himmel ein atemberaubendes Farbenspiel, dessen Leuchtkraft ausreichte, um Boas den Weg zu weisen. Die Dünen hingegen, die sich um ihn herum auftürmten, lagen in Dunkelheit verborgen. Sie wirkten wie schläfrige Wellen auf ihn, die sich in Zeitlupe durch ein staubiges Meer kämpften, Jahr um Jahr. Das drängende Gefühl, sich an seine Vergangenheit erinnern zu können, hatte bereits wieder nachgelassen, und an was er sich tagsüber in aller Deutlichkeit hatte erinnern können, kam ihm jetzt wie ein schlechter Traum vor. Die Seele, die er zu besitzen glaubte, erweckt von Paolina, gehegt von dem Mädchen, am Leben erhalten von ihr, schien ihm nur noch ein Traumgebilde zu sein.
Diese Seele konnte er nun nicht mehr für sich beanspruchen, denn sie war auf dem Weg in ein chinesisches Gefängnis.
Er schleppte sich über Kiesboden, denn hier war die wahre Form des Landes in Ansätzen noch erkennbar, wo die Wellen über die Dünen geflossen waren. Ein Kiesweg führte zwischen zwei Sandhügeln in ein Tal undurchdringlichen Schattens.
Der Messing folgte ihm.
Die Luft wurde schlagartig kühler, als er in die Schatten trat. Ein electrischer Impuls knisterte im Wind. Er spürte, wie der Morgentau seiner Hülle wieder zu einer glatten Oberfläche verhalf. Hier schienen die Dünen steiler zu sein, was eigentlich
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