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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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geeignet, ihr Vertrauen einzuflößen. Mings Volk hatte eine eindeutig andere Vorstellung von Himmel und Erde, auch wenn es ihr schwergefallen war, ausführliche Informationen aus ihm herauszubekommen.
    Betrachtete man die Südliche Hemisphäre aus diesen felsigen, gefährlichen Höhen, so gab es nicht den geringsten Hinweis auf die Anwesenheit von Menschen. Das ließ sie daran zweifeln, ob Adam tatsächlich das eigentliche Ziel der Schöpfung gewesen war – oder irgendein beliebiges anderes Tier ihrer grünen Welten.
    Ein ketzerischer Gedanke stieg in ihr auf: Wie würde die Welt aussehen, wenn eine große Raubkatze oder ein herumspazierender Bär von der Verbotenen Frucht gekostet hätte?
    Childress
    Aus der Nähe wirkte der Priester noch unangenehmer als aus der Ferne. Er war nicht so fett, wie Childress zuerst angenommen hatte, sondern trug vielmehr sehr weit geschnittene Kleidung, als ob er früher auf geradezu obszöne Weise übergewichtig gewesen wäre und seitdem vergessen hatte, dass es so etwas wie Schneider gibt. Die von seinem Hals herabhängende Gesichtshaut verlieh ihm das Aussehen einer Bulldogge und erinnerte zugleich daran, wie viel Gewicht er verloren hatte. Sein schütteres orangefarbenes Haar passte zur sonnenverbrannten Haut, doch überraschenderweise schimmerte in seinen wässrigen Augen ein Hauch stillen Humors.
    Der Esel des Priesters war in genauso bedauernswertem Zustand wie sein Reiter. Der Mann brachte ihn zum Stehen und fragte dann auf Englisch: »Wer läuft diesen Hafen an?« Seine sanfte Stimme wies einen europäischen Akzent auf, den Childress nicht erkannte.
    »Meine Kleidung straft meinen Lebensweg Lügen«, sagte Childress bedächtig. Sie umgab sich mit der Aura der Maske Poinsard, ohne sich der Arroganz der toten Herzogin zu bedienen; sie nutzte jedoch ihr Selbstbewusstsein, ihre berechnende Art und ihre Zielstrebigkeit.
    »Niemand würde daran zweifeln, Mistress …?«
    Die Frage hing in der Luft, als ob das Schicksal ganzer Nationen von ihrer Antwort abhing. Was in gewisser Weise stimmte. »Sie dürfen mich Maske nennen.« Ihre rechte Hand deutete eine vogelartige Geste an.
    Seine Augen weiteten sich, als er diese Geste sah. Er erwiderte sie jedoch nicht, sondern sagte: »Mein Name ist Vater Francis von der Erzdiözese Goa. Bitte erlauben sie mir, mich für den bescheidenen Empfang zu entschuldigen, aber wir waren nicht auf eine Invasion der Flotten Erewhons vorbereitet, an deren Bord sich so bezaubernde Schurkinnen befinden.«
    »Ich bezaubere niemanden.« Childress ließ ihre Stimme schärfer klingen, wie früher bei Gesprächen mit pampigen Studenten. »Ich spreche nur das Offensichtliche aus.«
    »Eine viel zu übliche Schwäche«, bemerkte Vater Francis.
    »Was ich vor mir sehe, ist ein Mann, der schwer krank gewesen ist.«
    Der Priester nickte, und ein Stirnrunzeln zeichnete sich auf seinem sonnenverbrannten Gesicht ab.
    Childress sprach weiter: »Ein Mann, der dem Flug des Weißen Vogels nicht wohlwollend gegenübersteht. Der vermutlich ein Gefolgsmann des Schweigsamen Ordens ist.«
    Sie wollte den Mann nicht aufziehen, und es hatte sehr wenig Sinn, zu Beginn eines solchen Gesprächs nicht die Karten auf den Tisch zu legen. Nicht hier, nicht jetzt, wo Arglist und Lücke nicht nützten, sondern mit offenen Karten zu spielen viel mehr einbrachte.
    Vater Francis rutschte unruhig auf seinem Sattel hin und her. Der Esel schnupperte traurig. »Sie und Ihr Schiff voller Übeltäter bereisen die Weltmeere und sehen die Dinge anders. Ich wünsche Ihnen die Pest an den Hals. Gott hinterließ uns Sein Wort und Seine Welt. Die Welt braucht die Einmischung spiritueller Emporkömmlinge nicht.«
    »Ich bin Bibliothekarin, Vater.« Sie lächelte ihn an. »Ich habe mein Leben damit verbracht, Priester in ihrer Ausbildung zu begleiten. Ich selbst habe die Einmischung spiritueller Emporkömmlinge mehr als satt.«
    »Oh mein armes Kind.« Auch wenn er die Worte schwermütig vortrug, so war das Lächeln doch auf sein Gesicht zurückgekehrt. »Hat dieses Gefährt des Zorns Sie aus dieser furchtbaren Gefangenschaft befreit?«
    Seine Frage erinnerte sie an Dinge, die sie zutiefst bedauerte. Sie brachte ihre Emotionen unter Kontrolle, bevor sie weitersprach. »In gewisser Hinsicht ja. Ich bin heute hier, um Hilfe und Ratschlag zu erbitten.«
    »Dann sind Sie allerdings an den falschen Ort gekommen.« Er nickte in Richtung der Five Lucky Winds . »Wenn Ihre Mannschaft diesen Strand nicht mit einem

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