Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
Schlag besetzen will, würde ich Sie gerne zu einer Tasse Tee einladen.«
»Ich nehme Ihre Einladung gerne an.« Childress drehte sich um, vollführte das Zeichen, mit dem sie deutlich machte, dass es gut um ihre Sicherheit bestellt war, und schenkte dem Priester erneut ein Lächeln. »Lassen Sie uns gehen, Vater.«
Childress saß auf einer gefliesten Veranda in einem Korbstuhl, und ein kleiner Rattantisch stand zwischen ihr und Vater Francis. Ein indischer Bediensteter hatte das Teeporzellan bereitgestellt und pastellfarbenes geschnittenes Obst auf einem Teller angerichtet. Die Decke über ihnen war sehr hoch und wäre an anderen Orten mit Ventilatoren ausgestattet gewesen. Hier war es einfach nur heiß.
Nicht weit vom Pfarramt entfernt erhob sich eine Kathedrale, auch wenn es von ihrem Sitzplatz nicht klar war, wo genau die sich befand. Während ihres Spaziergangs mit Vater Francis waren sie keinem anderen Priester begegnet, aber es waren ohnehin nur wenig Leute zu sehen, egal welcher Glaubensrichtung sie angehörten. Die Veranda war groß, aber recht leer, denn auf ihr befand sich nur ihr kleines Ensemble. Eine schwache Brise brachte gelegentlich den Duft des fernen Dschungels und eines unbekannten Gewürzes mit sich.
Goa Velha war ein angenehmer Ort. Sie fragte sich nur, wohin alle verschwunden waren.
Ihr Gastgeber mühte sich mit einem Krug moschusartiger Sahne ab, die sie bereits dankend abgelehnt hatte. Nachdem der Tee die gewünschte Farbe erreicht hatte, warf er einen körnigen Klumpen braunen Zuckers hinein. Anschließend schenkte er Childress ein strahlendes Lächeln. Das Funkeln, das in seinen Augen aufblitzte, und die Falten in seinem Gesicht ließen den gut aussehenden jungen Mann erahnen, der mittlerweile unter herabhängenden Hautfalten verborgen war.
»Nach der Pestepidemie von 1843 haben die Portugiesen die Hauptstadt nach Panjim verlegt«, sagte Vater Francis. »Ihre Karte muss sehr alt sein.«
Nicht nur ein Priester, sondern auch ein mitdenkender Mann, stellte Childress fest. Auch wenn er sich wahrscheinlich als Gegner entpuppen würde, freute sie sich darüber. »Es war nicht meine Karte«, entgegnete sie, um herauszufinden, zu welchen Aussagen ihn diese Informationslücke veranlassen würde.
»Als Nächstes werden Sie mir erzählen wollen, dass Ihr Lächeln nicht tausend dieser Unterwasserschiffe befehligt.« Er lächelte sie spitzbübisch über den Tassenrand an.
»Das glaube ich allerdings nicht.« Sie erwiderte sein Lächeln. »Alle Gesichter sind Masken. Alle Masken haben Gesichter.«
»Hm.« Er stellte seine Tasse ab und spießte ein Stück einer frischen blassrosafarbenen Frucht mit einer kleinen Silbergabel auf. »Was hat eine brave anglikanische Ketzerin wie Sie in meiner bescheidenen Gemeinde zu suchen? Sie tauchen hier mit einem schwer bewaffneten Kriegsschiff auf und hissen eine frei erfundene Flagge. Oder sollte sich in letzter Zeit ein Imperium emporgeschwungen haben, von dem ich noch nichts gehört habe?«
»Ich bin nur mit den Waffen meines Intellekts ausgestattet. Das Kriegsschiff im Hafen untersteht nicht meinem Befehl.« Childress wurde in dem Moment, in dem sie diese Worte aussprach, klar, dass sie praktisch eine Lüge waren. Die Five Lucky Winds hatte ihre Flagge gehisst, und sie waren dem Kurs gefolgt, den sie vorgeschlagen hatte. Ihre gemeinsame Zukunft hing aller Wahrscheinlichkeit nach von ihrem Geschick ab, die Rolle der Maske überzeugend zu spielen – eine Rolle, die sie nur widerwillig angenommen hatte, nachdem sie damals gewaltsam von ihrem Schiff entführt worden war.
»Und was sagt Ihnen ihr Intellekt?«
»Dass meine Karte alt ist.«
Sie lachten beide. In der folgenden Stille war der Priester offensichtlich damit zufrieden, Childress als Nächste das Wort ergreifen zu lassen.
Da sie die Bittstellerin war, tat sie das auch. »Wir sind auf der Suche nach einem neutralen Hafen; wir benötigen Treibstoff, Lebensmittel und Frischwasser. Der Zugang zu einer Gießerei oder einer Werkstatt wäre wünschenswert, aber die notwendigen Reparaturen können auch noch aufgeschoben werden.« Noch. Es würde nie wieder ein Lager voller Ersatzteile für die Five Lucky Winds geben, keine Schiffsmechaniker, nicht in der Art ihres früheren Heimathafens Tainan.
»Lassen Sie uns direkt zur Sache kommen«, antwortete der Priester. »Die wenigsten Häfen im Westen des Indischen Ozeans würden ein Schiff wie das Ihre überhaupt anlanden lassen. Sie haben eine gute Wahl
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