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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Geruch alten Weihrauchs, nach Polieröl und der herbe Duft der feucht gewordenen Matratze hingen in der Luft.
    Wang öffnete die Tür des Wandschranks, nur um sicherzugehen. Doch außer Staub befand sich nichts darin, nicht einmal Kleidung zum Wechseln. Er bückte sich, um auch unter das Bett sehen zu können, aber nur ein hauchdünnes Wesen hätte sich dort verstecken können.
    Warum wurde das Siegel gebrochen? Hier gab es nichts zu verstecken.
    Wang verließ enttäuscht die Kajüte. Wo könnte sich der Mönch bloß aufhalten? Als er sich wieder aufrichtete, nachdem er das Siegel an seinem alten Platz zurechtgerückt hatte, sah er, wie Wu von oben auf ihn hinabsah. Der Maat nickte nur kurz und verschwand dann aus seinem Sichtfeld.
    Es handelte sich tatsächlich um einen Geist. Zumindest so geisterhaft, wie es der Rest der Besatzung war.
    Die Fortunate Conjunction erreichte kurz vor Sonnenuntergang eine kleine Inselgruppe. Die Felsformationen waren das Seltsamste, was Wang jemals gesehen hatte, und wirkten auf ihn wie Kalksteindaumen. Sie erinnerten ihn an die prächtigsten Schriftrollen aus Guilin. Direkt über der Wasseroberfläche wichen die Felsen zurück, als ob das Meer ihre Fundamente langsam, aber sicher annagte.
    Auf der nächsten Insel war ein weitläufiges Gebäude zu erkennen. Wang erkannte, dass es ein Palast war – mit Flügeln, Türmen und weit vorstehenden Balkonen, aus Mauerwerk und Bambus, deren Gesamtfläche größer war als jedes der Reisfelder am Gan-Fluss in der Provinz Chiang Hsi, wo er seine Jugend verbracht hatte.
    Das war kein Gebäude. Es war eine Stadt.
    Lichter flackerten in Hunderten Fenstern. Die Abendstunden wurden mit mächtigen Gongs angezeigt, aber es wehten weder Banner im Wind noch waren andere Herrschaftszeichen zu erkennen. Diese Festung herrschte nur über sich selbst, beugte das Knie weder Hof noch Kaiser und erhob sich mächtig und einsam über den blau brandenden Wellen des Ozeans.
    »Sind wir in Phuket?«, fragte Wang leise, ohne dabei jemanden bewusst anzusprechen.
    Einer der Matrosen sah zu ihm auf und antwortete dann in einem schweren vietnamesischen Akzent: »Phuket liegt im Osten.«
    Der Katalogisierer drehte sich in die angegebene Richtung. Am Horizont zeichnete sich eine weitere Landfläche ab. »Aber dort sollte ich hingebracht werden.«
    »Phuket ist der Einlaufhafen, nicht das Ziel«, sagte Wu hinter ihm. »Nur die wenigsten kommen direkt nach Phi Phi Leh. Wer dorthin geht, kehrt in der Regel nicht zurück.« Der Maat sah auf die schnell dunkler werdenden Wellen.
    Wang blickte in dieselbe Richtung. Etwas Dunkles lag auf dem hellen Sand, das aber nicht deutlich zu erkennen war. Dann dämmerte es Wang, dass es sich um ein Schiff handelte. Sein Blick huschte über weitere Schatten, streifte über Riffe aus zerborstenen Rümpfen und Leichen. Kapitän Shen stand am Ruder und hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf die bedrohlich wirkende Festung über ihnen gerichtet.
    »Ich soll Sie zum Kai rudern«, fügte Wu hinzu.
    »Natürlich.« Wang folgte dem Maat an die Reling, wo das Beiboot auf ihn wartete. Ein Matrose saß bereits an den Rudern.
    Wu kletterte die Seilleiter hinab, und Wang folgte ihm. Ein anderer Matrose warf ihnen ein Bündel hinterher, das fast ins Meer gefallen wäre: Wangs bescheidene Besitztümer. Ein zweites Bündel folgte, dann stießen sie ab.
    Wu saß im Heck des winzigen Boots, Wang am Bug. Der andere Segler ruderte mittschiffs mit dem Rücken zu Wang. Keiner sprach, während sie durch das Wasser glitten. Die Abenddämmerung wich einem glitzernden Sternenhimmel, bevor sie einen kleinen Kai am Fuß des Felsüberhangs erreichten.
    Der Katalogisierer trat vorsichtig aus dem Beiboot auf die Leiter und stieg dann zum Kai hoch. Der Matrose holte die Ruder ein und folgte Wang. Wu warf erst eins, dann das andere Bündel zu ihnen hinauf, und der Matrose fing sie auf. Er drehte sich zu Wang und zwinkerte.
    Der Mönch.
    Natürlich, stellte Wang mit Verblüffung fest. Wo hätte sie sich besser verstecken können als in den Reihen der Besatzung?
    »Viel Glück«, sagte Wu und ruderte los, als ob die Frau niemals existiert hätte.
    Sie entledigte sich ihrer Uniform. Wang drehte sich peinlich berührt zur Seite, als ihm klar wurde, was er da gerade sah. Sekunden später tippte sie ihm auf die Schulter. Das safrangelbe Gewand war zurück; sie hatte es dem zweiten Bündel entnommen.
    »Ich glaube, Sie werden erwartet«, sagte sie zu ihm.
    »Dort oben?« Wang sah zur

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