Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
konnte, sollte das Deck in Schräglage gehen. Die Triebwerke heulten für einen Augenblick lauter auf, beruhigten sich dann aber wieder und nahmen ihr übliches Surren wieder auf.
Nach einigen Minuten in absoluter Regungslosigkeit führte er seine Operation fort.
Wang
Der Mönch führte ihn in der Dunkelheit die Stufen wieder hinab. »Sie haben sich in eine durch und durch moderne Abenteuerfahrt verwickeln lassen«, rief sie Wang über die Schulter zu.
»Ich habe mit Erleichterung festgestellt, dass ich nicht Teil einer alten Wǔxiá-Erzählung geworden bin.«
»Glück hatten sie aber trotzdem nicht, denn ich befürchte, dass Ihre Erzählung mit einiger Wahrscheinlichkeit sehr kurz und brutal sein wird. Kennen Sie sich mit irgendwelchen Waffen aus?«
Auf dem Weg nach unten fiel ihm das Atmen wesentlich leichter, aber seine Knie brachten ihn fast um. »Nur Personal- und Materialanforderungsformulare, Madam.«
Das brachte sie zum Lachen. »Mit denen man von seinem eigenen Schreibtisch aus ganze Armeen vernichten kann, da bin ich mir sicher. Ich gehe doch davon aus, dass Sie Ihre eigenen Pinsel geschnitten haben?«
»Jeder Mann weiß mit einer kurzen Klinge umzugehen«, sagte Wang, um sich zu rechtfertigen.
»Eine kurze Klinge ist alles, was die meisten Männer besitzen«, antwortete sie. »Es ist egal.«
Nach einigen Sekunden fragte er: »Das ist alles?«
»Haben Sie die Offenbarung mystischen Wissens erwartet?«
»Ich habe … mehr erwartet.«
Sie lachte erneut. »Sie machen Jagd auf eine mächtige Maske, die für ihre Grausamkeit berüchtigt ist. Ihre einzigen Waffen sind Ihre Worte.«
»Ich bin mir sicher, dass ich von einem mächtigen Wächter begleitet werde«, murmelte er und blieb dann entsetzt stehen, als es ihm langsam dämmerte, wer sein Wächter sein würde.
»Quis custodiet ipsos custodes?«
Wang brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, dass der Mönch ihn auf Lateinisch angesprochen hatte. Er verstand nicht, was sie damit meinte, aber sie schien mit ihrer Aussage recht zufrieden zu sein.
»Wenn ich das richtig sehe, wartet unten ein Boot auf Sie.«
Paolina
Sie und Ming folgten ihrem Begleiter hinab in das Dorf. Die Siedlung schien sich am Flussufer entlangzuziehen, zumindest so weit, wie Paolina in beide Richtungen sehen konnte, bevor die dunklen, herabhängenden Schatten des Dschungels ihr den Blick versperrten.
Stützen und Pfosten, die schräg aneinanderlehnten, bildeten die recht offenen Wände der Häuser. Die Dächer waren eine zusammengebundene Angelegenheit aus Schilf, Blumen und herabhängenden Blättern. Die Türen wiesen nur selten einen rechten Winkel auf.
Sie erinnerte sich langsam wieder an alte Denkmuster. Es fiel ihr auf, dass die gesamte Architektur sich den Bedürfnissen dieser Dschungellandschaft angepasst hatte. Der Regen würde nur auf die wenigsten Häuser direkt fallen, denn die sich darüber ausbreitenden Baumkronen würden das meiste Nass abfangen. An diesem Ort war es so warm, dass die Einwohner zu keiner Zeit Fenster benötigten, die man verschließen konnte. Die Baumaterialien wurden einfach gesammelt und nicht von einer Horde Männer mit Äxten geschlagen – der sie umgebene tropische Regenwald blieb daher nahezu unverändert.
»Das Zuhause des Vergessenen Volks«, sagte ihre Führerin mit einem schüchternen Lächeln.
Ihr Volk war überall. Viele lungerten herum, aber dabei schienen sie von innerer Anspannung geprägt zu sein. Andere trugen Obst umher, spießten Fische auf, planschten im Fluss herum oder schnitzten – die üblichen Tätigkeiten in einem Dschungeldorf, doch es lag eine merkwürdige und wohltuende Atmosphäre der Spielfreude in der Luft.
Ming deutete mit einem Kopfnicken nach rechts. Paolina blickte auf und erkannte ein wesentlich größeres Gebäude in den Bäumen, das eher an ein europäisches Bauwerk erinnerte. Satteldächer erhoben sich über Balkonen und Veranden. Ein weibliches Mitglied des Vergessenen Volkes in einem hellen Umhang sah ernst auf die Reisenden herab. Sie schien die einzige besonnene Person im gesamten Dorf zu sein.
Paolina hob die Hand zum Gruß. Ihre Geste wurde mit einem ruhigen, einfachen Nicken beantwortet, bevor die Person in das riesige Haus zurückkehrte.
»Wer lebt da oben?«, fragte sie ihre Begleiterin.
Ohne in Richtung des Hauses zu sehen, antwortete die Frau: »Nicht jetzt. Kalker wird alles erklären.«
Wer ist Kalker? Paolina zwang sich zu schweigen.
Sie gingen weiter zum Fluss hinunter. Am
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