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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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alle überragte. Er glaubte es so sehr, dass sich die meisten davon auch täuschen ließen. Selbst al-Wazir, der bei etwa einem Meter und neunzig um die hundertfünfundzwanzig Kilogramm wog, hatte seine lieben Schwierigkeiten, sich dieser unheimlichen, widerwärtigen Aura zu widersetzen.
    Und das war ja noch nicht alles. Es hatte viele Offiziere im Lauf seiner Karriere gegeben, einige wahre Leuteschinder, andere halbwegs vernünftig, die eine Benachteiligung aufgrund fehlender Größe mit frechster Prahlerei überwanden. Was das Ganze in diesem Fall erschwerte, war der wütende, fauchende Ton, dessen sich Ottweill ständig befleißigte. Sein Tonfall ließ den Zuhörer davon ausgehen, dass er ein kurzsichtiger Vollidiot war, dem man ständig auf die Finger schauen musste.
    Das Einzige, was für diesen schielenden Kerl sprach, war seine Genialität. Das und eine klare Vorstellung davon, was benötigt wurde, um sich am Fuß der Äquatorialmauer durch mehr als hundertfünfzig Kilometer festes Gestein zu bohren, um auf die andere Seite zu gelangen.
    Sturheit schien al-Wazir die wichtigste Voraussetzung für dieses Projekt des Premierministers zu sein. Ottweill eröffnete dem Begriff ›Sturheit‹ völlig neue Dimensionen.
    Al-Wazir konnte nicht anders, als das zielorientierte Handeln Ottweills zu respektieren, genauso wie er es bei einem außergewöhnlichen Sturm oder einem durchgeknallten Wildhund tat. Diese Art des Respekts fühlte sich aus reichlich Entfernung jedoch wesentlich sicherer an.
    Er begann, das Wesentliche an Lloyd Georges Plan, ihn mit Ottweill zusammenzubringen, langsam zu erkennen. Dem Reeperbootsmann wurde klar, dass er und Kitchens vermutlich die einzigen Männer im gesamten Steinbruch waren, die sich nicht vom netten Doktor einschüchtern ließen. Und al-Wazir war vermutlich der einzige Expeditionsteilnehmer, der über ausreichend Erfahrungen mit Kommandostrukturen verfügte und sie gleichzeitig zu missachten wusste, um sich mit Ottweill anzulegen.
    Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
    Er wunderte sich darüber, wie Ottweill es geschafft hatte, solange zu überleben, um eine Aufgabe von solcher Bedeutung und Verantwortung übernehmen zu können. Natürlich handelten die Offiziere auch so, und das die ganze Zeit. Zumindest die Blödmänner und Scheusale, die es zum Rang eines Flaggoffiziers brachten, ohne dass sie der Admiralität oder ihren Kollegen auffielen.
    Sie kamen damit durch, weil sie sich mieser Tricks bedienten. Natürlich.
    In der Zwischenzeit hörte er dem Doktor zu, der ihm einen Vortrag über den Dampfbohrer hielt, Modell Mark Vier. Watt und Doulton hatten die Dampfkessel gebaut, während der größte Teil der Konstruktion bei Chapman und Furneaux geschehen war, den Lokomotivenbauern. Drei Bohrer hatte man fertiggestellt, und zwei waren bereits vor Monaten unter schwerer Bewachung auf einem langsamen Schiff vorausgeschickt worden. Der dritte war hiergeblieben, um abschließende Tests durchführen und den bisherigen Entwurf verbessern zu können. Die passenden Teile und entsprechenden Materialien für Korrekturen würde man anschließend zu den beiden anderen Einheiten gen Süden schicken.
    Al-Wazir wurde klar, dass dieses Projekt niemals abgeschlossen würde.
    »Warum ist es uns nicht erlaubt, die Maschinenführer in ihren Arbeitskabinen einzuschweißen? Ich verstehe das nicht«, fragte Ottweill mit der ihm üblichen Lautstärke. »Wir könnten damit die Effizienz unglaublich steigern. Bei Ausstiegs- und Hilfssystemen ließe sich damit viel einsparen. Sie können aus ihrem Eimer essen und dann reinscheißen. Drei Eimer, drei Tage und – wupps! – schneiden wir die Kabine auf und ersetzen sie. Zwei Männer, noch drei Eimer, dann geht es drei Tage länger. Verdammt noch mal, was ist hier eigentlich das Problem, ihr englischen Weicheier? Gebt mir einen vernünftigen preußischen Bauern. Für die reichen Schwarzbrot und Schläge, im Namen der Mutter Gottes.«
    Al-Wazir sah sich um. Neun Männer nahmen an dieser Einsatzbesprechung teil. Zwei waren Reporter aus der Fleet Street mit einem schweigsamen Begleiter, der ein Auge auf sie zu haben schien, denn er hatte Kitchens kurz zugenickt. Auch der Colonial Service hatte zwei Uniformierte entsandt; zu ihnen gesellten sich zwei Stabsunteroffiziere, die ständig die Augen verdrehten. Und natürlich er selbst und Kitchens.
    Sie alle, selbst die Marineinfanteristen, waren von Ottweill überfordert. Niemand hinterfragte, was der Mann von sich

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