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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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unterwegs gewesen, als ein Fieber sie niederwarf. Vielleicht hatte sie etwas Falsches gegessen, obwohl sie sich Mühe gab, vorsichtig mit den fremden Beeren und blassen Wurzeln umzugehen. Paolina hatte Angst, sich einfach zusammenzurollen und durch reichlich Schlaf den Schüttelfrost und die Krämpfe in den Griff zu kriegen. Sie ging einfach weiter, brachte stolpernd Tage hinter sich, die nur Momente zu dauern schienen, und Stunden, die sich zu Ewigkeiten dehnten.
    Die Taschenuhr gab ihr in dieser Zeit Richtung und Ziel vor. Sie suchte mit müden, vor Erschöpfung zitternden Fingern nach ihr, bis sie den Segeltuchbeutel in der Tasche ihres Kleides fand und sie an sich drücken konnte.
    Als ihr Weg vor ein Tor führte, war Paolina überrascht. Klein gewachsene Männer – keine Frauen – mit stämmigen Körpern, die Rüstungen und mit Stoßzähnen verzierte Helme trugen, umringten sie. Sie starrten sie an. Ihre Speere umgab ein schwach leuchtendes grünes Feuer; sie tat es als Sinnestäuschung ab.
    Eine der Waffen wurde zögerlich an Paolinas Finger geführt, die die Taschenuhr festhielten. Sie riss ihre rechte Hand hoch und weg von der knisternden Spitze, bevor sie auf den Steinen zusammenbrach. Über ihr tauchten im Kreis Gesichter auf; dann wurde sie hochgehoben und durch das Tor getragen. Sie konnte weit über sich nur noch den Bogen erkennen, der mit blauen und orangefarbenen Edelsteinen verziert war, zwischen denen sich Quarz- und Glasstücke befanden. So stellte sie sich das Innere einer Schmuckschatulle vor.
    Die Taschenuhr war hier eindeutig der Schlüssel, der ihr den Zugang verschaffte.
    Waren diese Menschen Zauberer wie die Engländer?
    Dann tauchte ein Gebäude auf; ein ebenso reich verzierter, bogenförmiger Eingang, gefolgt von Fluren mit goldenen Säulen unter hohen Laternendächern, die das Licht durch farbige Fensterscheiben hereinließen.
    Diese Menschen liebten es bunt.
    Paolina versuchte, sich zu konzentrieren. Die Torwächter waren so leidenschaftslos gewesen, sie hätten sie vermutlich einfach mit ihren Speeren durchbohrt, hätte sie nicht die Taschenuhr in der Hand gehalten. Eine Uhr, die ihr selbst ein kleines Kind hätte entreißen können.
    Sie legten sie in einem kleinem Raum ab, dessen Decke mit abstrakten Mustern bemalt war, die vermutlich Blumen darstellen sollten. Ein weiteres Gesicht schob sich an ihren Trägern vorbei, beugte sich über sie und erinnerte sie an ein Wildschwein, mit seinen großen Zähnen.
    »Stirbst du?«, fragte die Frau auf Englisch.
    Paolina entschloss sich zu lügen, um der Tapferkeit willen. »Ich glaube nicht.« Sie wollte fragen: Warum Englisch? Wer bist du und wo bin ich? Aber die Worte fielen ihr schwer.
    Die Frau musterte sie. »Du trägst einen Schimmer.«
    Einen Schimmer. Irgendwie wusste Paolina, dass diese Frau die Taschenuhr meinte. Und das Wort passte wie die Faust aufs Auge. »Wenn es mir wieder besser geht …« Sie hielt inne, um Atem zu schöpfen. »Dann werde ich dir zeigen, was du wissen willst.«
    Das schien die Frau zufriedenzustellen, denn sie drehte sich um und knurrte. Weitere kleine, hässliche Frauen kamen und brachten sie fort. Sie wurde ausgezogen und gebadet, wobei sie stets darauf achteten, einen Sicherheitsabstand zur Taschenuhr in ihrer Hand zu halten.
    Was hatte sie erschaffen? »Schimmer«, sagte die hässliche Frau.
    Paolina hätte sich einen englischen Zauberer an ihrer Seite gewünscht, einen Nachfahren Newtons oder Dees oder einen anderen der Weisen am Königshof.
    Sie schlief ein, noch während sie ihr eine dünne Gemüsesuppe einflößten.
    Al-Wazir
    Herr Professor Doktor Lothar Ottweill gehörte zu der Sorte Mann, für den jedes anständige Besatzungsmitglied an Bord Ihrer Kaiserlichen Majestät Royal Navy direkt nach dem Ablegen einen zweckmäßigen Unfall ermöglicht hätte. Als Divisionsoffizier würde al-Wazir die Hälfte seiner Zeit darauf verwenden müssen, den Mann vor sich selbst zu schützen, und die andere Hälfte damit, seine Männer in Form zu bringen, damit sie beim unvermeidbaren nächsten Appell nicht direkt die Peitsche erhielten.
    Zum einen war Ottweill übergeschnappter als die meisten Leute am Königshof. Er hätte genauso gut Quecksilber saufen können oder eine von diesen seltsamen alchemistischen Mischungen, von denen die Pulvermeister immer redeten. Der Ingenieur war nur einen Meter und sechzig groß, besaß eine polierte Glatze und wog gerade mal fünfzig Kilogramm. Er schien aber zu glauben, dass er

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