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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Überraschung, bedenkt man, dass es Ihnen an Anstand offensichtlich mangelt.«
    Die Maske Poinsard blinzelte. »Ich sehe, dass wir wieder auf dem falschen Fuß aufgestanden sind.«
    »Lassen Sie mich offen sprechen«, sagte Childress, »denn wir haben für diesen Tanz zu wenig Zeit. Wenn Sie jedes unserer Treffen damit beginnen, mich in die Schranken weisen zu wollen, dann werde ich mich Ihnen niemals beugen. Solche Rededuelle sind nichts als Zeitverschwendung. Wenn Sie sich aber für gepflegte Konversation interessieren, dann würde ich unsere gemeinsam verbrachte Zeit als Gewinn verstehen. Derweil glaube ich zu hören, wie uns die Glocke zur Messe ruft.«
    Sie gingen gemeinsam an Deck, die Maske Poinsard vorneweg, begleitet von lähmender Stille. Childress fragte sich erneut, ob sie hoffen oder verzweifeln sollte.
    An Bord der Mute Swan gab es keinen Geistlichen, also musste Kapitän William Eckhuysen die Messe abhalten. Childress war an die hochkirchliche Pracht der St. John Horofabricus auf der Crown Street in New Haven gewöhnt, mit ihren zahllosen Reihen von Votivkerzen, bunten Kirchenfenstern, dem Kreuzweg der Räderung, einer aufwändig gestalteten Sakristei und einem Chor mit über sechzig Sängern. Es war ihr immer so vorgekommen, als ob Gott sich im Schatten solcher Herrlichkeit immer am besten zu zeigen verstand.
    Obwohl sie bei schlechtem Wetter an Deck standen und die Matrosen gähnend mit den Füßen schlurften, gelang es Kapitän Eckhuysen, mit seinem leidenschaftlichen Vortrag das Göttliche herbeizubeschwören. Childress stand direkt neben der elegant gekleideten Poinsard und Anneke in ihrem grünen Kleid, während die Mannschaft die Navyhymne anstimmte. Eckhuysen las anschließend aus dem Brief des Paulus an die Gläubigen auf Rhodos, die die Worte des Heiligen Geistes zu den Messingarbeiten des Himmels betrafen.
    »›Denn uns ist der Beweis von Gottes Absichten gegeben, als größtes Geschenk an die Menschen, dass wir nur gen Himmel sehen müssen, ob am Tage oder zur Nacht. Zweifelt ihr oder sucht nach Trost in den Machenschaften Babylons oder Ägyptens, so vergesset nie, wo unser Herr Jesus Sein Leben für uns gab, in der unaufhaltbaren und zugleich so schlichten Nachahmung Seines Vaters Werk.‹«
    Dann sah er sich auf dem Deck um und suchte den Blickkontakt mit seinen Offizieren, Passagieren und Matrosen. »Seit der Räderung unseres Herrn haben die Jahrhunderte uns Veränderungen gebracht, immer und immer wieder. Wir segeln auf den endlosen Ozeanen dank der Kraft des Dampfs, während wir früher Angst hatten, die Küste zu weit hinter uns zu lassen. Wir durchqueren die Länder unter der heißesten Sonne der Nördlichen Welt, wo wir früher nicht wussten, was südlich von Afrikas Mittelmeerstränden lag. Der avebianco erhebt sich über die Herzen und Gedanken der Menschen und schenkt dem die Freiheit, was früher in Ketten lag.«
    »Somit folgen wir den Worten des Apostel Paulus. Wir verfolgen die langsamen, aber unaufhörlichen Versuche der Menschheit, Gottes Werk nachzuahmen. Wir erschaffen die Schöpfung neu, denn wir sind nach Gottes Bild erschaffen, immer und immer wieder. Wir zähmen das Land und die Meere, entreißen der Welt ihre Geheimnisse und mühen uns immer, dem Ruhme des Geschenks Christi zu dienen.«
    »Mit diesem Ziel vor Augen mögt ihr euch erinnern –«
    Er wurde durch einen Ruf vom Rudergänger auf der Brücke unterbrochen. »Fremdes Kielwasser!«
    Kapitän Eckhuysen schenkte diesen beiden Worten seine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Welche Richtung?«
    »Folgt uns backbord, nordwestlich, Sir!«
    Alle Männer an Deck rannten zur Backbordreling und ließen Childress, Anneke und die Maske Poinsard verwirrt zurück. »Gehen Sie in Ihre Kabinen«, bat Anneke, aber Childress und Poinsard tauschten kurz Blicke aus und schüttelten dann den Kopf. Sie folgten den Matrosen an die Reling.
    Fast die gesamte Schiffsbesatzung hatte sich dort versammelt, vierzig Offiziere und Seeleute. Sie deuteten hektisch auf die bewegte See. Childress konnte weder ein Schiff noch Kielwasser erkennen, nur schwere, von Schaum gekrönte Dünung. Es waren auch keine Vögel zu sehen. Sie wusste nicht, ob das von Bedeutung war.
    Eckhuysen drehte sich um und sah wieder zur Brücke hoch. »Wo ist es jetzt?«
    »Hab’s verloren, Sir!«
    »Auf Gefechtsstation!«, rief Eckhuysen. »Frauen in die Rettungsboote. Bereiten sie die Raketen vor. Bootsmann, öffnen sie sofort die Waffenkammer!«
    Damit rannten die

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