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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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er erneut, wie groß das Ding war. Ein rollendes Gebäude, ein Haus der rotierenden Klingen, das der Mauer ihre Geheimnisse herausschneiden sollte.
    Wenn man den Dampfbohrer als Ganzes betrachtete, erschien er al-Wazir falsch, wie ein Verstoß gegen die Natur. Er schien ein Gerät zu sein, das sich eher für schmerzhafte Folter eignete als für einen ehrlichen Kampf. In diesem Augenblick vermisste er die Anmut und die Schönheit der Luftschiffe Ihrer Kaiserlichen Majestät schmerzlich.
    Er sah sich um. Die anderen Teilnehmer der Begehung wirkten genauso von Ehrfurcht vor der überwältigenden Macht der Maschine und der unleugbaren Realität des Tunnels ergriffen, aus dem sie hervorgekommen war.
    »Gehärteter Stahl«, brüllte Ottweill, als die Kessel Dampf abließen und der Dampfbohrer mit dem Kreischen gequälten Metalls zum Stehen kam. »Der Bohrkopf muss in weichem Gestein alle drei Tage repariert werden; in hartem Fels jeden Tag. Die Schnittflächen müssen wir je nach Gesteinsart wechseln. Wir gehen in Tagebauweise vor, damit wir gesinterte Bohrköpfe und Material für Schießarbeiten sowie Männer nach vorne schicken können, um direkt am Abbaustoß zu arbeiten, ohne zurücksetzen oder den Bohrkopf abschalten zu müssen.« Er sprach leiser weiter, als die Betriebsgeräusche des Bohrers, abgesehen vom Hämmern zweier Männer, die die Luke öffneten, um die Besatzung herauszulassen, aufhörten. »Sie kann eine Reihe speziell entworfener Güterwaggons ziehen, mit der das gelöste Gestein abtransportiert werden kann. Wir schicken eine normale Lokomotive hinterher, die diese Waggons herauszieht und das Abbaumaterial vor der Tunnelöffnung ablädt.«
    »Sie lassen die doch nicht aus dem Tunnel zurückfahren, bei dem, was sie mit der Mauer vorhaben«, sagte einer der Marineinfanteristen.
    Ottweill schüttelte entschieden den Kopf. »Wir folgen dem Bohrer mit traditioneller Ausrüstung und öffnen alle acht Kilometer eine Kaverne. Wir können ihn dort instand halten, ohne die gesamte bereits geöffnete Strecke zurückfahren zu müssen. Eine Versorgungsbasis direkt am Abbau, in der auch Vorräte, Ausrüstung und Unterkünfte für die Männer zur Verfügung stehen.«
    Al-Wazir fiel auf, dass sich der herumbrüllende Wahnsinnige im Angesicht der Maschine in Nichts aufgelöst hatte. Ottweill war einfach jemand, der mit seinen Werkzeugen alleingelassen werden wollte. Und der liebe Herr Professor würde alles tun, um seine Mission zu beschützen.
    Er wandte sich an Kitchens. »Ich habe wirklich keine Ahnung von verdammt großen Tunnelbohrmaschinen, aber ich verstehe was davon, wie man mit Menschen umgehen muss. Mit dem da haben Sie ein Problem. Er würde uns alle für einen weiteren Tunnelkilometer umbringen.«
    »Rechnen sie Ottweill als eins der Risiken an der Mauer ein.«
    Al-Wazir nickte und näherte sich dann dem Dampfbohrer. Er war riesig, kochend heiß und stank. Männer huschten über seine Oberfläche, öffneten Schaltpulte, befüllten ihn mit Wasser und Öl und kontrollierten die Bohrmeißel. Wie Krebse auf einem toten Wal.
    Nur dass tote Wale nicht aus schwarzem Eisen bestanden und Zähne aufweisen konnten, die sich durch Fels zu beißen vermochten.
    Childress
    Die nächsten Tage verbrachte sie damit, auf Deck zu spazieren und Amerika an der Backbordreling vorbeiziehen zu sehen. Anneke folgte ihr mit wenigen Schritten Abstand. Die Bibliothekarin versuchte nicht, an Maske Poinsard heranzutreten.
    Sie traf gezwungenermaßen auf die Mannschaft der Mute Swan , als diese ihren Pflichten nachging. Sie beobachtete die Männer bei der Arbeit, denn sie hatte Menschen schon immer genau studiert.
    Die Maske Poinsard war mit einer vielsprachigen Besatzung in See gestochen, das war unüberhörbar. An Deck wurde Englisch gesprochen, denn die Offiziere bellten ihre Befehle in der Sprache der Königin. Doch es gab Matrosen aus den skandinavischen Protektoraten, den amerikanischen Kolonien, aus der Karibik, dem Suez und dem weit entfernten Indien.
    Kurz gesagt war die Mannschaft eine bunte Mischung aus allen Ländern des Britischen Empire.
    Sie war noch nie zur See gefahren und konnte daher nicht beurteilen, ob es sich um eine gute Besatzung handelte, aber da Childress ihr ganzes Leben lang in einer Hafenstadt gelebt hatte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass Matrosen sich suchten und fanden. Wenn ein Schiff also aus einem bestimmten Hafen stammte und sein Kapitän und die höheren Offiziere aus einem anderen, so bestand die

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