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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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den Vierten auf Boas’ Siegel einzustimmen? Dabei ging es immerhin um das Geheimnis seines Wortes, den Namen innerhalb des Siegels. Andernfalls wäre er nur eine intelligente Statue, die sich dank Zahnrädern, Federn und Gelenken fortbewegte.
    Sie selbst war schließlich auch nicht mehr als von Intelligenz besessenes Fleisch, hätten ihre Vernunft und ihre Seele ihren Körper nicht zu ihrem Zuhause gemacht.
    Paolina zog die Aufzugskrone bis zur entsprechenden Position heraus. Sie drehte an der Rändelschraube und versuchte, sich dabei vorzustellen, wovor Karindira zurückgewichen war.
    Alles und jeder in der Schöpfung bewegte sich in seinem eigenen Rhythmus. Das war offensichtlich, wenn man die grundlegende Ordnung der Welt mit eigenen Augen sehen konnte.
    Salomons Siegel waren nichts anderes als eine Möglichkeit, sich die Energie dieses Rhythmus und seiner Bewegungen zunutze zu machen – ähnlich, wie man sich mit Seilen und Gewichten den Vorteil der Erdanziehungskraft zunutze machte. Natürlich bedurfte es besonderer Fähigkeiten, um zu erkennen, was der biblische König gesehen und womit er die Siegel erstellt hatte.
    Allerdings musste Paolina eingestehen, dass die Siegel auch als ausgesprochene Worte seinem Mund entsprungen waren, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich das auch klingen mochte. Woher sollte ich das wissen?
    »Ich spreche aber kein Adamitisch«, flüsterte sie. »Auch verfüge ich nicht über die Weisheit, die Salomon in alten Zeiten besaß. Aber ich weiß, wie die Zeit unserer Welt abläuft.«
    Sie warf einen Blick über ihre Schulter auf Boas. Er kauerte immer noch am Boden und starrte auf die gesiegelte Armee unter ihnen. Paolina wusste, dass die Treppen direkt zu ihrer Linken zur Mauer hinaufführen mussten. Hier war alles still.
    Zuerst hatte er sie getragen; dann hatte er sie ausgeschimpft. Etwas in diesem metallischen Mann zog sie an, aber er war eben zuallererst ein Mann , und erst dann Metall.
    Paolina ließ sich von dem Zorn treiben, um genau denselben dunklen Ort in sich wiederzufinden, der sie dazu gebracht hatte, die Taschenuhr zu erschaffen. Der Schimmer, so nannten sie ihn auf a Muralha . Diese merkwürdige Dunkelheit hatte sie von den anderen in Praia Nova immer unterschieden und sie zu einem einsamen Menschen werden lassen.
    Den Rhythmus ihres eigenen Herzens zu bestimmen war am leichtesten, denn ihr Herzschlag pulsierte in den Schläfen und in den Fingerspitzen. Die Uhrzeit des Tages war auch nicht schwer zu bestimmen. Die Zeit, die am Grunde aller Existenz lag, war etwas schwieriger. Sie hatte sie zuerst in Praia Nova zurückgesetzt, wo sie sich sicherer gefühlt hatte. Sie konnte sich vom Hier und Jetzt nicht wesentlich unterscheiden.
    Sie veränderte die Einstellung am vierten Zeiger und starrte dabei Boas an. Er verlagerte kurz sein Gewicht, während er auf die gesiegelte Armee hinabsah. Seit ihrem ersten Treffen auf ihrem Weg nahe der Waffenkammer des Westlichen Friedens hatte sie ihn besser kennengelernt; Schritt für Schritt, Stunde um Stunde, in einem Ausmaß, das sie zuvor nie gekannt hatte. Boas war offen zu ihr gewesen. Das hatte er zumindest behauptet. Er hatte es so ausgedrückt: Sie lag jenseits der Obrigkeit.
    Der vierte Zeiger setzte sich langsam in Bewegung. Er bewegte sich schnell ruckelnd vorwärts, in genau dem Maße, in dem Boas sich in eine unbewegliche Statue verwandelte.
    Sie hatte ihm seine Lebensessenz entzogen und in den Schimmer übertragen. Sie hatte ihn eigenhändig gesiegelt.
    Paolina bekam es mit der Angst zu tun.
    Sie wartete, bis es dunkel wurde, bevor sie weitermachte. Ihr Zorn verwandelte sich langsam in pure Furcht. Hatte sie Boas in alle Ewigkeit angehalten? Was sollte aus ihm werden? Was sollte aus ihr werden?
    Was immer auch geschehen sollte, mehr Messing und Menschen unterschiedlichster Hautfarben und Größe tauchten auf der Treppe hinter ihr auf und verschwanden in der abendlichen Dunkelheit. Sie kauerte sich neben Boas’ leblose Gestalt und sah ihnen zu. Ihre Lasten hatten sich in nachvollziehbare Formen verwandelt, denn die gesiegelte Armee hatte sich nach ihrer kurzen Wanderschaft wieder zusammengefunden und das zu sortieren begonnen, was man einfach hatte zu Boden fallen lassen. Pavillons wurden zum Schutz vor den Elementen errichtet. Werkzeuge wurden dazu verwendet, im schwindenden Licht Bäume zu fällen. Feuer wurden angezündet, und die gesiegelte Armee gab sich endlich den Anschein der Normalität.
    Vielleicht essen sie

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