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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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fraß. Es klang wie das Heulen eines jeden Hunds, den er jemals in seinem Leben gehört hatte, und es fuhr ihm bis ins Mark, genauso wie das Geräusch zersplitternden Holzes auf See.
    Eine Wolke verbarg den Dampfbohrer sofort vor al-Wazirs Blick. Der Staub dämpfte das ekelerregende Getöse, das seine Zähne klappern ließ, allerdings nicht. Die Männer bejubelten den ersten Vortrieb, doch das Einzige, was al-Wazir sehen konnte, war ein drohender Schatten, ein rollender, sich lang hinziehender Dachs mit Dampfüberdruckventilen, der laut aufheulte, als sich der Bohrer in den Stein fraß.
    Es war die Hölle, nur in klein, und er fühlte sich wie ein neugieriger Junge, der vor einem Schlüsselloch hockte, um einen Blick auf die Verdammnis zu erhaschen.
    Während alle um ihn herum weiter jubelten, wandte sich al-Wazir dem Dschungel zu. Hornsbys Männer hatten das Land vor der Palisade auf zweihundert Meter Entfernung gerodet und ihnen damit ein freies Schussfeld verschafft. Er und Hornsby hatten persönlich alle zehn Meter Steine weiß gekalkt, um den Kleinkalibern der Artillerie und den Handfeuerwaffen genaue Entfernungsangaben an die Hand zu geben und damit auch die jeweils nächste Verteidigungslinie zu kennzeichnen. Er hatte die Männer außerdem in den Bäumen am Rand der Lichtung Holzplattformen errichten lassen, um dort Kundschafter und Scharfschützen positionieren zu können. Freiwilligeneinheiten, die sie von den Royal Marines und der Army angeworben hatten, durchkämmten bereits den Dschungel vor ihnen. Einige liefen nur kurze Patrouillen, andere befanden sich auf Fernaufklärungsmissionen.
    Mehr konnten sie nicht tun, um den Tunnelbau zu beschützen. Es war Hornsbys Aufgabe, sich um den idealen Einsatz ihrer Waffen und die Kampftaktiken zu kümmern. Mit welchen Strategien sich die Mauer ihnen widersetzen würde, war sein Aufgabenbereich.
    Al-Wazir wünschte sich nur, er würde die Messingmenschen besser verstehen, gegen die sie kämpften. Die Mauer war riesig und stellte praktisch einen eigenen, senkrechten Kontinent dar, aber seiner Erfahrung nach war sie nur dünn besiedelt. Die meisten ihrer Bewohner verteidigten sich lediglich und waren ganz und gar nicht angriffslustig. Diese Messingmenschen aber waren aus dem Nichts aufgetaucht und hatten versucht, die englische Tunnelbaustelle zu stürmen.
    In diesem Augenblick wäre die Bassett unheimlich nützlich gewesen. Sie hätte an der Mauer entlangfliegen können und wäre zumindest vor den Messingmenschen sicher gewesen, aber die geflügelten Wilden konnte er nicht aus seinen Gedanken verbannen.
    Diese Kreaturen hatten das Luftschiff schließlich zum Absturz gebracht. Selbst hier und jetzt, in dem aufgewirbelten Staub und lauten Kreischen des Dampfbohrers, konnte er sich so genau an den Tag vor zwei Jahren erinnern, als ob er ihn gerade erst erlebt hätte. Smallwood hatte das Luftschiff aufsteigen lassen – zu hoch, wie einige der Männer meinten –, bis sich der Atlantik weit unter ihnen erstreckte, Wolken über ihn hinwegflogen, die die Größe von Irland besaßen, und der Horizont eine merkliche Krümmung aufwies. Dort oben verfärbte sich der Himmel zu einem leichten Violett, und man konnte am helllichten Tag die Sterne sehen. Die Matrosen hatten es gehasst.
    Al-Wazir hatte nie verstanden, wonach der Kapitän gesucht hatte. Was sie gefunden hatten, war ein Trupp dieser verdammten geflügelten Wilden; düstere, nackte Engel, in deren Augen das Licht Gottes nicht schimmerte. Die Monster hatten die Tragseile zerschnitten, die Decks zerstört und den Tragkörper aufgeschlitzt und dabei unaufhörlich Matrosen über Bord geworfen. Ihr Fall dauerte Ewigkeiten, denn der feste Boden lag Kilometer entfernt unter ihnen.
    Er hatte die Reeperdivision in den Kampf geführt, mit Handfeuerwaffen, Schwertklingen, selbst mit bloßen Händen und nichts als nackter Panik.
    Es hatte nicht gereicht.
    Ihre Rettung verdankten sie nur der Tatsache, dass der Tragkörper nicht in Flammen aufging. Hätte sich der Wasserstoff entzündet, dann hätte sich die Bassett in einen Flammensturm am Abendhimmel entwickelt und ihre Asche, ihr verbranntes Fleisch hinabregnen lassen. Vor nichts hatten die Luftschiffmatrosen mehr Angst als vor Feuer – es diente nur dem Teufel und den Chinesen. Das jedoch war den geflügelten Wilden offensichtlich nicht möglich gewesen, oder Gott hatte sich auf ihre Seite geschlagen, die Seite der wenigen, die sowohl die Schlacht als auch den albtraumhaften,

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