Die rätselhaften Worte
feiern, zu heiraten, mit der Familie ein Picknick oder andere schöne Dinge zu unternehmen. Und so hatte er sich – obwohl der Druck durch die Wordman-Ermittlungen die offizielle Freizeit stark dezimierte (ohne daß deshalb in entsprechendem Maß
bezahlte
Überstunden angefallen wären) – an seinen Wordman-freien Samstag geklammert wie ein Ertrinkender an den Rettungsring.
Aber Linda Lupin – Loopy Linda – hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Mordopfer, vor allem, wenn Gift beteiligt ist, werden für gewöhnlich auf Eis gelegt, bis alle Parteien, die forensische Interessen anmelden – Polizei, Coroner, Spurensicherung und (falls jemand festgenommen wurde) die Verteidigung –, überzeugt sind, daß jedes kleinste Indiz, sei es be- oder entlastend, gesichert wurde. Den Hinterbliebenen wird geraten, ihren Kummer ebenfalls im Kühlraum einzulagern, bis der Tag der Beerdigung kommt, an dem sie ihn öffentlich zur Schau stellen dürfen.
Wenn aber die trauernde Hinterbliebene Linda Lupin heißt und als Mitglied des Europaparlaments sogar schon französische Beamte das Fürchten gelehrt hat, dann sind auch andere Regelungen denkbar.
Ihr Argument (wie immer auf einer Steintafel eingemeißelt) lautete, die politische Welt habe aufgrund des Ablebens ihres Stiefbruders bereits eine gewisse Zeit unter ihrer Abwesenheit leiden müssen, und die Zukunft Europas stehe in den Sternen, wenn das so weitergehe. Deshalb müsse die Beerdigung während ihres jetzigen Aufenthalts stattfinden, und das hieß, noch diese Woche: Denn danach müsse sie sich wieder ihrer heiligen Pflicht widmen, den Kontinent für Angelsachsen tauglich zu machen.
Und so kam es, daß Sam Johnson am Samstag vormittag beigesetzt wurde.
Linda hätte die Endgültigkeit einer Feuerbestattung vorgezogen, aber da stellte sich der Coroner quer. Der Leichnam mußte verfügbar bleiben. Also fand die Trauerfeier in der Universitätskirche St. Hilda statt.
Das offizielle Eingeständnis, daß Steel und Johnson das vierte und fünfte Opfer des Wordman seien, reichte bereits, um in den britischen Medien ein wildes Tohuwabohu von Spekulationen und Anschuldigungen auszulösen – und die unerwartete Beteiligung Linda Lupins war das Filetstück im gefundenen Fressen. Die Beerdigung hätte zu einer Kreuzung aus Popkonzert und Auswärtsspiel der Nationalmannschaft ausarten können, hätten nicht die weitblickenden viktorianischen Gründer der Universität den Grundsatz, daß jedes Gebäude, welches Studenten beherbergt, mit einer durch Glasscherben bewehrten Steinmauer zu sichern sei, auch auf die Kirche ausgedehnt. Sicherheitskräfte der Universität marschierten wie die Verteidiger einer belagerten Burg rund um das Gelände und stießen die Leitern um, mit deren Hilfe besonders ruchlose Belagerer Einblick zu gewinnen suchten. Währenddessen verscheuchten resolute Funksprüche der Polizei einen Hubschrauber, der wie eine Harpyie durch die niedrige Wolkendecke stieß.
Aber Ortskenntnis hilft – wie die Liebe –, die höchsten Mauern zu überwinden, und als Peter und Ellie Pascoe über den Kiesweg zum Kirchentor schritten, löste sich von einem Grabstein eine Gestalt, die aussah wie der in Stein gehauene Tod, sich aber dann als Sammy Ruddlesdin zu erkennen gab.
»Auf ein Wort, Peter?« bat er.
Pascoe schüttelte den Kopf und ging hastig weiter. Ruddlesdin hielt Schritt.
»Verrat mir doch wenigstens, ob du in offizieller Funktion oder als Freund der Familie hier bist«, beharrte er.
Pascoe schüttelte erneut den Kopf und trat durch das Portal in die Kirche.
Ellie blieb auf den Stufen stehen und zischte Ruddlesdin ins Ohr: »In welcher Funktion soll er dir klarmachen, daß du dich verpissen sollst, Sammy?«
Als sie ihrem Mann folgte, rief ihr der Reporter nach: »Ist das eine offizielle Stellungnahme, Mrs. Pascoe?«
Sie setzte sich neben Peter, streifte die Schuhe ab und stellte ihre Füße auf ein Kniekissen.
»Ich dachte, ich hätte dich verloren«, flüsterte Pascoe.
»Ich hab’ nur ein Wörtchen mit ihm geredet.«
»O Schreck. Was hast du gesagt?« fragte er beunruhigt.
»Nichts Druckreifes«, versicherte sie ihm. »Nur, daß er sich verpissen soll.«
»Das ist doch nicht dein Ernst? Doch, du hast es gesagt. Ein bißchen grob, findest du nicht? Schließlich ist es doch nur der alte Sammy.«
Sie sah ihn an. »Peter, ich weiß nicht, in welcher Funktion du hier bist, aber ich, ich bin gekommen, um von jemandem Abschied zu nehmen,
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