Die rätselhaften Worte
den ich vermissen werde, jemandem, der mir ein guter Freund war. Und das heißt nicht, daß ich zu Journalisten höflich sein muß, ob es nun der alte Sammy ist oder eine dieser Hyänen, die draußen herumstreifen. Also laß mich jetzt weitertrauern, ja?«
»Gut«, sagte er. »Dann wirst du wohl darauf verzichten, Loopy Linda mit einer Sahnetorte zu bewerfen?«
Linda Lupin war eines der beliebtesten Haßobjekte der Linken.
Ellie überlegte.
»Nein. Jedenfalls nicht auf geweihtem Boden.«
Eines mußten selbst ihre vielen Feinde einräumen: Linda Lupin besaß Ausstrahlung. Nicht einmal ein Sarg konnte ihr die Schau stehlen. Daß die sterblichen Überreste von Sam Johnson feierlich den Mittelgang hinaufgetragen wurden, blieb beinahe unbemerkt, da sich alle Blicke auf den Überraschungsgast richteten.
Johnsons Schwester war stämmig gebaut, mittelgroß, und hatte kurzgeschorenes schwarzes Haar, weit auseinanderliegende Augen, die nie zu blinzeln schienen, eine lange Nase, einen selten untätigen Mund und ein Kinn, das wohl zum Eisbrecher getaugt hätte. Dennoch war sie nicht unattraktiv. Ein für seine Amouren bekannter Politiker im Ruhestand hatte sogar gestanden, daß eine wiederkehrende erotische Phantasie, in der Linda und eine neunschwänzige Katze vorkamen, ihm größeres Vergnügen bereite als seine tatsächlichen Affären mit zwei, drei Damen, deren Namen er ungalanterweise nannte.
Ihre Stärke, dachte Pascoe, liegt darin, in keiner Gesellschaft und bei keinem Anlaß daran zu zweifeln, daß sie die wichtigste Person unter den Anwesenden ist. Ihre gegenwärtige Entourage, bestehend aus dem Vizekanzler der Universität und leitenden Mitgliedern des anglistischen Fachbereichs, sämtlich in Talaren erschienen, wirkte wie ein Gilbert-and-Sullivan-Chor, der seine geschraubten kleinen Kunststücke hinter der Primadonna vollführt.
Die meisten der offiziellen Trauergäste waren Universitätsangehörige, darunter mehrere Kollegen, die Johnson in angeheitertem Zustand gegenüber Pascoe als »Pfuscher und Plagiatoren« bezeichnet hatte, »die keinen originellen Einfall mehr hatten, seit sie sich die Eier abgeschnitten haben, um zu sehen, wo ihr wäßriges Sperma herkommt«. Insbesondere zwei hatte er aufs Korn genommen, weil sie sich bei ihm einschmeicheln wollten, um Zugang zu seinem mühsam zusammengetragenen Material über die englische Romantik zu bekommen. Vielleicht bot sich ihnen jetzt eine Chance. Bestimmt hatte Loopy Linda nicht viel Verwendung dafür, also würde vermutlich der wendigste Speichellecker den Sieg davontragen.
Doch es fehlte einer, den Pascoe vielleicht nicht unter den offiziellen Trauergästen, aber doch wenigstens am Rande der Gruppe erwartete: Franny Roote. Er und Ellie hatten sich in eine der hinteren Reihen gesetzt, und der Student und Gärtner war jedenfalls nicht vor ihnen. Seltsam, dachte er. Dann rief er sich Dalziels Warnung vor fixen Ideen in Erinnerung und verdrängte entschlossen den Gedanken an Roote.
Der Gottesdienst begann. Der jugendliche Universitätsgeistliche verweigerte sich mit beinahe brutaler Konsequenz den althergebrachten pompösen Riten und lieferte statt dessen einen Abriß von Johnsons Leben, der ungeachtet seiner Wirkung auf die Traditionalisten Ellie zu Tränen rührte.
Er schloß mit den Worten: »Und wenn nun einer der Anwesenden noch mehr über Sam sagen möchte, bitte kommen Sie nach vorn … Wir haben nicht oft Gelegenheit, unser Herz sprechen zu lassen. Scheuen Sie sich nicht, sie zu ergreifen.«
Er räumte die Kanzel, nahm unten Platz und ließ dabei mit aufmunterndem Lächeln seinen Blick über die Versammelten schweifen, die als gute Briten selbstverständlich die Augen senkten, unruhig hin und her rutschten und alle Anzeichen akuter Verlegenheit zeigten.
Pascoe neigte, tief ins Gebet versunken, den Kopf. Eigentlich waren es zwei Gebete: Erstens flehte er darum, Loopy Linda möge die Chance vorbeigehen lassen, eine ihrer berühmten Ansprachen zur Wiedereinführung der Bastonade zu halten. Aber noch inständiger betete er, Ellie möge sich nicht vom Fleck rühren. Da er überzeugt war, daß Gott vor allem Hilfe zur Selbsthilfe leistet, schob er mit dem rechten Fuß einen ihrer abgelegten Schuhe außer Reichweite. Nicht, daß sie sich dadurch hätte aufhalten lassen: Wenn es sie überkam, war ihr durchaus zuzutrauen, daß sie wie eine Büßerin aus alter Zeit barfuß vor die Gemeinde trat.
Er spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten. Gleich würde
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