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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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meine, für mich wäre er groß gewesen. Und es war eine hübsche Rolle, längst keine Hauptrolle, aber eine Figur mit einer interessanten Krankheit.«
    »Ich kann bezeugen, daß du das Fach wirklich beherrschst.« Hat dachte daran, wie sie ihm bei seinem Krankenbesuch die Tür geöffnet hatte.
    »Herzlichen Dank. Jedenfalls kam der Tag meiner großen Premiere, und mein Vater sollte mich zum Theater fahren. Aber plötzlich erklärte er, er habe keine Zeit, meine Mutter müsse mich fahren. Serge fing einen lautstarken Streit mit ihm an und fragte, was zum Teufel wichtiger sein könne, als zu meiner Premiere zu gehen. Darauf hielt Dad ihm eine theatralische Predigt, nichts, außer den allerdringendsten Angelegenheiten, die das Wohlergehen der ganzen Familie beträfen, könnte ihn veranlassen, ein solches Ereignis zu versäumen. Und wenn sich die Möglichkeit biete, rechtzeitig wegzukommen und sein Töchterchen wenigstens noch kurz auf der Bühne zu sehen, dann würde er sie ergreifen. Und weg war er.«
    »Da warst du bestimmt fertig.«
    »Ehrlich gesagt, Serge war viel wütender darüber als ich. Ich wollte nicht zur Bühne, um meinen Vater zu beeindrucken, mir ging es um die anderen Leute, die Fremden, die sollten sich für mein Talent begeistern. Aber ich brauchte jemanden, der mich hinfuhr. Als es Zeit wurde, war meine Mum sternhagelvoll, und dann hab’ ich wirklich die Nerven verloren. Serge hat mich beruhigt und ein Taxi gerufen. Es kam nicht. Wir haben wieder angerufen. Es sei irgendwo im Stau steckengeblieben, es würde gleich dasein. War es aber nicht. Jetzt wurde ich ernsthaft hysterisch. Und Serge kam mit dem Autoschlüssel meiner Mutter an und sagte, kein Problem, er würde mich fahren.«
    Hat ahnte, worauf die Geschichte hinauslief.
    Leise sagte er: »Wie alt war er? Fünfzehn?«
    »Genau. Mein Zwillingsbruder und zufällig genauso alt wie ich. Du solltest zur Polizei gehen.«
    »Tut mir leid. Ich meine, er hatte doch keinen Führerschein. Konnte er denn fahren?«
    »Wie alle fünfzehnjährigen Jungen hat er geglaubt, es zu können«, erwiderte Rye. »Wir sind los. Es war spät, nicht so spät, daß es wirklich ein Problem gewesen wäre, aber in meiner Gemütsverfassung habe ich mich aufgespielt, als wäre ich eine Primadonna, die zu spät zu einer Aufführung am Königshof kommt. Ich schrie ihn an, schneller zu fahren. Es war ein trüber, naßkalter Abend. Schneller, schrie ich, schneller. Er hat bloß gegrinst und gesagt: ›Leg den Gurt an, Schwesterherz. Es könnte ein unruhiger Flug werden.‹ Das waren seine letzten Worte. Wir haben eine Kurve zu schnell genommen, sind ins Schleudern geraten … es ist alles wieder hochgekommen, als du gerade bremsen mußtest …«
    Hat nahm sie in die Arme und hielt sie fest. Eine Weile lehnte sie sich an ihn, dann richtete sie sich entschlossen auf und machte sich los.
    »Wir sind frontal mit einem Auto zusammengestoßen, das uns entgegenkam«, stieß sie leise und hastig hervor, als müsse sie das aussprechen und wolle es schnell hinter sich bringen. »Zwei Leute saßen darin. Sie haben es beide nicht überlebt. Serge ist auch umgekommen. Und ich erinnere mich nur noch an die Schleuderpartie und wie ich dann auf dem Bürgersteig lag – vor einem Friedhof, kannst du dir das vorstellen? – und zum Nachthimmel hinaufschaute … danach war Sendepause, bis ich mehr als eine Woche später im Krankenhaus wieder aufgewacht bin.«
    Hat stieß einen Pfiff aus.
    »Eine Woche? Da mußt du aber arge Verletzungen davongetragen haben.«
    »Ja. Alles mögliche gebrochen. Aber mein Kopf hat am schlimmsten gelitten. Schädelbruch, Hirnquetschung. Sie mußten zweimal operieren. Bis sie das wieder hingekriegt hatten, war der Rest von mir auch schon einigermaßen zusammengeflickt.«
    Während sie sprach, tastete sie unwillkürlich nach der Silbersträhne in ihrem Haar.
    Hat streckte die Hand aus und berührte die Strähne.
    »Hast du das damals bekommen?« fragte er.
    »Ja. Sie haben mir natürlich eine Glatze rasiert, mir aber versichert, daß alles nachwächst. Das war auch so. Nur sind aus irgendeinem Grund, den sie mir erklärt haben, ohne die Erklärung zu erklären, wenn du weißt, was ich meine, die Haare über der Narbe weiß geworden. Sie haben mir geraten, sie zu färben, aber das wollte ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Wegen Serge«, sagte sie leise. »Weil ich Friedhöfe und diesen ganzen morbiden Mist verabscheue. Aber solange ich Augen habe und mich im Spiegel

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