Die rätselhaften Worte
Minuten mit anderen lebenden Menschen zu sprechen, was ziemliche Kommunikationsprobleme schafft. Vor einer Stunde ist sie hier heraufgekommen, um sich zu sammeln. Sie bemüht sich immer noch darum. Während die beiden da unten die Beute aufteilen und um eine gute Startposition für den Wettstreit um den Posten des Zentrumsdirektors rangeln. Kannst du mal den Wasserkocher anschalten?«
»Und auf wen würdest du tippen?« fragte Hat.
»Sie sind beide katastrophal«, erklärte sie, während sie Instantkaffee in die Becher löffelte. »Denen geht es nur darum, ihr eigenes Schäfchen ins trockene zu bringen. Aber du bist ja nicht hier, um Kulturpolitik zu besprechen, oder? Du sollst mich doch bestimmt im Auftrag von diesem Fettkloß verhören? Ich glaube, das Wasser kocht.«
Anscheinend bin ich aus Glas, dachte Hat. Jeder liest in meinen Gedanken wie in einem offenen Buch.
»Bücher«, sagte er und reichte ihr den Wasserkocher. »Du bist doch ein Fan von Penns Romanen.«
»Ich lese sie gern«, gab sie zu, goß Wasser in die Becher und reichte einen an Hat weiter. »Aber seit er ein Fan von mir ist, nimmt das Lesevergnügen ab. Jedesmal, wenn Harry Hakker etwas Gescheites oder Anzügliches sagt, höre ich Penns Stimme. Schade drum. Der Starrummel um Autoren ist eine riskante Sache. Das ist im Grunde wie mit dem Essen. Wenn man sich ein schönes Rumpsteak gönnt, will man ja auch nicht darüber nachdenken, wo es herkommt.«
Hat, der in seinem bisherigen Leben darauf verzichtet hatte, seine Verdauung mit solchen Fragen zu belasten, nickte weise. »Wie wahr. Aber um auf Penns Bücher zurückzukommen: Ich habe mal so eine Romanverfilmung im Fernsehen gesehen und nach zehn Minuten kapituliert. Also könntest du mir vielleicht einen kurzen Überblick geben, worum es darin geht?«
Um die Frage vorwegzunehmen, die er ihr vom Gesicht las, fügte er hinzu: »Die Sache ist die: Dieser Linguist von der Uni meint, der Wordman sei auf Wörter fixiert, und wenn wir wüßten, was er liest, dann würden unsere Chancen steigen, ihn zu verstehen.«
»Was er schreibt, meinst du wohl«, erwiderte Rye. »Du interessierst dich doch nicht dafür, ob er die Harry-Hacker-Romane liest, sondern ob er sie schreibt?«
»Wir dürfen bei den Ermittlungen nichts außer acht lassen«, erklärte Hat.
»Ach ja? Dem Motto folgt wohl auch der Fettwanst, wenn er Dick nachstellt? Wenn ihr den Schuldigen nicht kriegt, dann drescht ihr eben auf einen Unschuldigen ein, in der Hoffnung, ihm durch Einschüchterung oder Tricks ein Geständnis abzuringen?«
»Da magst du recht haben«, entgegnete Hat. »Aber das ist nur was für die obere Riege. Ich darf noch nicht mal die Bullenpeitsche einsetzen, also muß ich mich an altmodische Methoden halten und meinen Opfern indirekt auf den Pelz rücken, indem ich Fragen stelle, wenn sie grad nicht da sind.«
Sie dachte darüber nach und sagte dann: »Harry Hacker ist eine Mischung aus Heine, Lermontows Helden Petschorin und Scarlett Pimpernell, plus einen Schuß Sherlock Holmes, Don Juan (von Byron, nicht von Mozart) und Raffles …«
»Langsam«, protestierte Hat. »Vergiß nicht, daß du mit einer schlichten Seele sprichst, die sich unter einer guten Lektüre eine Zeitung mit mehr Bildern als Text vorstellt. Wenn du also das literarische Beiwerk weglassen und dich an die schmucklosen Tatsachen halten könntest …«
»Für den Gebildeten«, erklärte sie kühl, »dient das, was du Beiwerk nennst, als eine Art Kurzschrift, die viele hundert Wörter in eine Silbe packt. Aber wenn du darauf bestehst: Harry ist ein toller Hecht, er treibt sich in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts in Europa herum und wird in viele historische Ereignisse verwickelt. Er gibt sich als Künstler aus, ist auch mal in Gaunereien verwickelt, bleibt aber seinen eigenen moralischen Maßstäben treu und hat ein goldenes Herz. Wo er herstammt, ist unklar, und ein Erzählfaden, der die Bücher zusammenhält, ist seine Suche nach der eigenen Identität, psychologisch, geistig und genetisch. Solche Innenschau könnte in einem romantischen Thriller für Gähnen sorgen, aber Penn bringt etwas Pep rein, indem er das Thema in Begegnungen mit Harrys mysteriösem Doppelgänger packt. Klingt doof, aber es funktioniert.«
»Das glaube ich dir aufs Wort«, meinte Hat. »Dieser Harry scheint mir ein ziemlicher abgefahrener Typ. Wie kommt es, daß die Bücher so beliebt sind?«
»Versteh mich nicht falsch, Hat. Er ist ein echter
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