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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sich und seine Ziele erzählen, ohne uns damit vorzuwarnen oder Hinweise auf seine Person zu geben, wird ihm am Ende das Genick brechen. Aber wir benötigen natürlich Ihre linguistischen Kenntnisse, Dr. Urquhart, um diese Hinweise und Winke zu interpretieren.«
    »Danke für die Blumen. Zu dem Verschen am Schluß: Das ist natürlich ein Rätsel. Ist ein richtiger Rätselkönig, der Knabe. Und wenn man eine Lösung findet, dann wirft sie nur noch mehr Fragen auf.«
    »Genau wie die Presse, die draußen wartet«, bemerkte Trimble säuerlich.
    Armer alter Dan, dachte Pascoe. Er ist gekommen, weil er hoffte, daß hier ein ganzer Bau Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird. Und nun neigt sich die Expertenanhörung ihrem Ende entgegen, und er hat noch nicht mal eine zersägte Jungfrau zu Gesicht bekommen!
    »Na ja, hätt’ uns der Herr in seiner Güte die Kunst gegeben, in die Zukunft zu schauen, dann würden wir alle durch Seidentücher furzen, wie meine Großmutter aus Kirkcaldy immer sagte. Aber verzweifeln Sie nicht. Pozzo hat recht, er gibt uns Hinweise, und ich deute sie. Irgendwas Auffälliges an diesem Knittelvers?«
    Alle vertieften sich in ihre Kopien. »Der Druck«, riefen Bowler und Novello gleichzeitig und musterten einander forschend.
    »Genau. Der Druck. Diese vielen Großbuchstaben. Was die wohl bedeuten, frage ich mich«, meinte Urquhart.
    »Sieht aus, als könnte er nicht richtig tippen«, warf Dalziel ein.
    »Aber sonst findet sich das nirgends. Das kann es nicht sein«, widersprach Urquhart. »Nein, ich glaube, das ist ein Chronogramm.«
    Er schaute triumphierend in die verständnislose Runde.
    »Ein Chronogramm«, dozierte er, »ist ein Text, in dem bestimmte Buchstaben für ein bedeutsames Datum oder eine Epoche stehen. Beispielsweise hatte Gustav Adolf, der schwedische König, der im Dreißigjährigen Krieg gefallen ist, einen Orden zur Erinnerung an einen Sieg im Jahre 1632 folgendermaßen beschriften lassen.«
    Er ging zur Tafel und schrieb:
    C hr I st U s DUX : ergo tr IUM ph U s
    »Und das heißt …«
    Er legte eine erwartungsvolle Pause ein, die der Schulmeisterrolle entsprach, mit der ihn Dalziel aufgezogen hatte.
    »Mit Christus als Führer würden wir den Fall in Null Komma nichts lösen«, sagte Novello keck.
    Alle lachten, sogar Trimble, und Urquhart warf ihr den schmierigen Blick zu, dem seine Studentinnen wahrscheinlich reihenweise erlagen, wie Hat boshaft dachte.
    »Das genügt für unsere Zwecke«, sagte der Linguist. »Betrachten wir jetzt einmal die Großbuchstaben als römische Zahlen. In lateinischen Inschriften werden die U’s natürlich normalerweise als V’s wiedergegeben. Damit haben wir« – er schrieb
100+1+5+500+5+10+1+5+1000+5
an die Tafel –, »was in der Summe
1632
ergibt. Das funktioniert auch auf englisch. Ein berühmtes Beispiel ist …«
    Wieder schrieb er.
    L or D ha V e M er CI e V pon V s
    »Wenn man das addiert, kommt man auf
1666.
Das bezieht sich in diesem Fall aber nicht auf den Großen Brand von London, sondern auf das andere Ereignis, von dem Dryden in seinem
Annus Mirabilis
berichtet, den Seekrieg zwischen England und Holland.«
    Interessant, dachte Pascoe. Je stärker er in seine Dozentenrolle verfällt, desto ordentlicher redet er.
    »Hier werden aber U’s als V’s wiedergegeben, obwohl es sich nicht um Latein handelt«, warf Wield ein.
    »Eine Freiheit, die man von den Steinmetzen übernommen hat«, erklärte Urquhart. »Vor der Erfindung von elektrischen Werkzeugen war es wesentlich einfacher, gerade Linien und Winkel anstatt Bögen in Stein zu hauen. Unser Wordman allerdings ist ein Purist. In seinen drei Verszeilen läßt er nur die V’s als Zahlen gelten. Und wie Ihnen sicher nicht entgeht, ist jeder Buchstabe, der eine Zahl bedeuten könnte, groß geschrieben und zählt daher mit, wie es sich für ein gutes Chronogramm gehört. Es ist um einiges leichter, wenn man nur die Buchstaben herausgreift, die sich gerade zu der benötigten Summe addieren. Okay, schauen wir mal, was wir da haben.«
    Er schrieb:
    1+5+1+1+5+50+1+500+500+1+1+1+500+1+5+1+1+1 = 1576
    »So, jetzt sind Sie wieder dran«, sagte er befriedigt und setzte sich.
    Sie starrten die Tafel an wie Belsazars Höflinge die Wand.
    »War’s das?« fragte Andy Dalziel.
    »Wenn ich mich nicht verrechnet habe.«
    »Aber was soll das nun heißen?«
    »Bitte, ich bin hier nur für Sprachfragen zuständig. Ihre langweilige Polizeiarbeit müssen Sie schon noch selber machen. Aber wenn er

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