Die rätselhaften Worte
offiziell zu übertragen. Dalziel hatte nicht sehr glücklich gewirkt, und Wields Bericht sowie das negative Resultat des Fingerabdrucks ließen Hat erneut hoffen, daß er diese lästige Pflicht bald wieder los sein würde.
»Und sind Sie sicher, daß er Sie nicht bemerkt hat?« fragte Pascoe, der immer noch nach einem Grund für Rootes harmloses Verhalten suchte.
»Da würde ich mein Leben drauf verwetten«, sagte Hat im Brustton der Überzeugung. »Wenn ich mich noch unsichtbarer gemacht hätte, dann hätte ich mich wahrscheinlich morgens nicht mehr im Rasierspiegel gesehen.«
Pascoe hatte lächeln müssen. Dann meinte er resigniert: »Also gut, ich glaube, wir machen jetzt Schluß. Danke für euren Einsatz. Ihr habt gut gearbeitet.« Was Hat glauben ließ, der Dicke habe den Überwachungsauftrag schließlich doch noch vom Dienstplan gestrichen.
Aber er war vorsichtig genug, sich diese Interpretation nicht anmerken zu lassen, besonders da er, durch das Lob ermutigt, die Gelegenheit beim Schopf packte und mit Angabe des Grundes fragte, ob er zur Vernissage gehen könne.
»Warum nicht?« sagte der Chief Inspector. »Da geht ja anscheinend alle Welt hin. Und wie könnte ich mich der jungen Liebe in den Weg stellen?«
»Danke, Chef«, sagte Hat. Und weil er nicht als ein leichtfertiger Grünschnabel erscheinen wollte, fügte er hinzu: »Da der Wordman doch die Bibliothek benutzt, um auf seine Dialoge aufmerksam zu machen, und die Vernissage im Kulturzentrum stattfindet, habe ich mich gefragt, ob er vielleicht auch hinkommt.«
Pascoe hatte gelacht und geantwortet: »Sie wollen wohl sagen, wenn wir beide die Augen offenhalten und uns bereithalten, uns auf jeden zu stürzen, der so aussieht, als plane er einen Mord, dann könnten wir einen Überraschungscoup landen! Im Ernst, Hat, in unserem Job hat man wenig genug Freizeit. Ich rate Ihnen, vergessen Sie einmal die Arbeit, entspannen Sie sich. Es gibt keinen Grund, warum unser Wordman sich dort blicken lassen sollte. Und selbst, wenn er kommt, wird er nichts anderes tun als wir alle – sich anschauen, was es dort zu sehen gibt, und den Abend genießen. Hab’ ich recht?«
»Vollkommen, Chef«, meinte Hat. »Tut mir leid. Es war eine dumme Bemerkung.«
»Nicht dumm, nur viel zu pflichteifrig. Vergessen Sie den Wordman. Wie ich gesagt habe, entspannen Sie sich, und freuen Sie sich auf die Vernissage.«
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Dreizehn
Der Vierte Dialog
V
ernissage.
Die Präsentation von Kunst.
Über so etwas kann ein Geist nur lachen!
Auch ich fand es amüsant. Bei meinem Rundgang durch die Galerie fiel mir als erstes auf, daß alle nur ihr Weinglas und ihren Gesprächspartner im Blick hatten.
Und da sich hier alles versammelt hatte, was in Mid-Yorkshire Rang und Namen hatte, und man sich sicher nicht zum ersten Mal sah, war zunächst gar nicht ersichtlich, wer oder was hier überhaupt wem präsentiert werden sollte.
Das einzige Ausstellungsstück, dem unmittelbare Aufmerksamkeit zuteil wurde, war eine Art priapischer Totempfahl, knapp zwei Meter hoch und mit einer Kettensäge aus einem Eichenstamm gearbeitet. Aber selbst der wurde nach ein paar anfänglichen schlüpfrigen Kommentaren nicht weiter beachtet, außer von denen, die ihre Gläser auf seinen rohen Simsen abstellten. Doch hörte ich im Vorbeigehen den Kunstkritiker der Gazette zu seiner androgynen Begleiterin sagen: »Ja, es hat eine gewisse, wie soll ich sagen? Eine gewisse Aura.«
Aura.
Ein interessantes Wort
.
Vom griechischen
anwa
, was Hauch oder Atem bedeutet
.
Doch in der Medizin verwendet man den Ausdruck, um die ersten Anzeichen eines epileptischen Anfalls zu bezeichnen.
Erinnerst du dich an die alte Aggie, die Epileptikerin?
Genau die. Ihre Aura bestand nicht aus den üblichen Gesichtszuckungen, sondern äußerte sich in plötzlicher Euphorie. In dem Wissen, was kommen würde, rief sie: »O Gott, ich bin so glücklich!«, aber in einem so verzweifelten Tonfall, daß alle, die sie nicht kannten, mehr Bestürzung über das Oxymoron zeigten, das ihre Worte und ihr Verhalten zusammenzwang, als über den Anfall, der darauf folgte.
Später, als mein Interesse an den Arkana unserer Existenz aufkeimte, fand ich heraus, daß die antiken Ärzte in solchen Anfällen die Reaktion des schwachen menschlichen Fleisches auf das Einströmen göttlicher Energie sahen, die den Körper als Gefäß für prophetische Äußerungen nutzt. Natürlich mußte ich da auch an Aggie denken. Doch konnte ich mich
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