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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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noch nicht in Aufbruchsstimmung. Sie hatte sich von der Begegnung mit der Reitjacke des Honourable erholt und glänzte nun mit ihrer jüngst bei einem Wochenendkurs der
Sunday Times
erworbenen Kennerschaft in Sachen Wein. Nachdem sie der Ansicht Ausdruck gegeben hatte, Chardonnay aus dem Barriquefaß liege nicht mehr im Trend, hatte ihr Percy Follows eine frisch entkorkte Flasche Rotwein gebracht.
    »Sagen Sie nicht, was es ist!« kreischte sie und senkte ihre Nase tief in das Glas, das sie in beiden Händen geborgen hielt. »Ah, das ist gut, das ist interessant. Ich rieche exotische Früchte, ich rieche Mangrovensümpfe, ich rieche Koriander, ich rieche Kümmel, ich rieche Rohrzucker.«
    »Machen Sie sich nichts draus«, tröstete sie Dalziel. »Nach fünfzehn Schoppen Bier geht’s bei mir manchmal auch drunter und drüber. Gehen wir jetzt, oder was?«
    »Ich tippe auf einen Shiraz-Merlot-Verschnitt. Westaustralien? Könnte ein 97er sein«, erklärte Margot.
    Alle Augen richteten sich auf Follows, der, die Hand fest über dem Etikett, erklärte: »Alle Achtung. Sie haben wirklich eine gute Nase.«
    Es war tatsächlich eine Nase, mit der man Ehre einlegen konnte. Wenn man ein Papagei ist, dachte Cap.
    Sie sah, wie Dalziels Lippen einen ähnlichen Gedanken zu formulieren begannen, nahm ihn rasch in den Polizeigriff, was für die Umstehenden so aussah, als würde sie ihn zärtlich unterhaken, und erklärte: »Du hast recht, mein Lieber. Es wird Zeit, daß wir uns auf den Heimweg machen.«
    Sie gingen Richtung Ausgang, dicht gefolgt vom Bürgermeister und seiner triumphierenden Frau.
    Ambrose Bird ging auf Follows zu, nahm ihm die Flasche aus den Händen, studierte das Etikett, auf dem St.-Émilion stand, und rief mit Pomp: »Kriecher!«
    Nun begann sich die Galerie rasch zu leeren. Bald waren von den etwa hundert Gästen nur noch zwei Dutzend übrig. Unter ihnen war Edgar Wield. Das kühle Glas Wein, das er sich bei seiner Ankunft genommen hatte, fühlte sich mittlerweile warm an. Kunst interessierte ihn nicht besonders, aber sein Lebensgefährte Edwin Digweed hatte den Wunsch gehabt, zur Vernissage zu gehen. Als er merkte, daß er damit bei Wield auf wenig Begeisterung stieß, hatte er säuerlich geäußert: »Schön. Ich werde dich dran erinnern, wenn du das nächste Mal mit mir zu einer Obduktion gehen willst.« Ein realistischeres Argument hätte Wields Widerstand möglicherweise verstärkt, diese Antwort aber brachte ihn zum Schmunzeln, und er gab gutmütig nach. Ein Fremder wäre außerstande gewesen, das eine wie das andere wahrzunehmen, aber Digweed war es nicht entgangen, und er freute sich darüber.
    Nun wartete Wield mit ironischer Geduld auf das Ende einer angeregten Unterhaltung, die Digweed, der nicht einmal einen Bleistift mit dem Federmesser anspitzen konnte, ohne sich in den Finger zu schneiden, mit einem jungen Kunstdrechsler führte. Es ging um die Vor- und Nachteile von Ulmen- und Eibenholz. Wield freute sich auf den Rest des Tages, der ihm mit einigem Glück das Vergnügen bescheren würde, mit seinem Freund abseits störender Menschenmassen allein zu sein.
    Er sah Pascoe und Ellie am Ausgang mit Ambrose Bird sprechen. Genauer gesagt, war es Ellie, die sich mit dem letzten der Schauspieler-Direktoren unterhielt. Wield wußte, wenn Ellie eine Schwäche hatte, dann die, sich von betrunkenen Charmeuren beeindrucken zu lassen. Pascoe, der das freundliche Lächeln aufgesetzt hatte, mit dem er seine Ungeduld verbarg, fing Wields Blick auf, verzog das Gesicht und strebte auf ihn zu.
    Wohlwollend nahm Wield Pascoes gewandte Bewegungen zur Kenntnis, die freundliche Art, mit der er Bekannte grüßte, und die Ungezwungenheit und Geradlinigkeit, die er ausstrahlte. Der Junge machte einen guten Eindruck, und den hätte er auch gemacht, wenn dies ein Empfang für hochrangige Diplomaten und nicht eine Provinzveranstaltung für Möchtegernkünstler gewesen wäre. Auch anderen mußte das aufgefallen sein. Er kam gut voran, doch nicht zu gut, besser gesagt, nicht zu schnell. Andere hatten es bereits in kürzerer Zeit zum Chief Inspector oder noch weiter gebracht, aber wer zu schnell aufstieg, der mußte sich auch immer Fragen gefallen lassen. Ist der irgendwo lange genug gewesen, um sich auch mal die Hände schmutzig zu machen? Wie man nach oben kommt, weiß er ja, aber ist er nicht ein bißchen jung? Als Pascoe mit glänzenden Aufstiegschancen von der Uni gekommen war, hätte er sich nicht träumen lassen, so

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