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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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sie, meine Schöngelockte über alle versammelten Rattenvölker hinweg: in wiederholten Abwandlungen war einzig von Mühe und Arbeit die Trübsinnige Feierlichkeit ging vom Altar von der Kanzel aus, bedrückte, hielt nieder, ließ nicht zu, daß sich die Ratten hätten aufrichten können, so geduckt wurden sie gehalten. Auch war ihrem Gesang nichts Gregorianisches abzuhören. Sie sangen strophige Lieder. Mir war, als hörte ich: Ein feste Burg... oder: Verzage nicht, du Häuflein klein... Doch kamen mir die bekannten Kirchenliedtexte total verschlumpft vorjedem dritten Wort war das Gemaule der Watsoncricks draufgesetzt. Schon fühlte ich mich versucht mitzusingen. Das ist die zweite Lautverschiebung, sagte die manipulierte Damroka ohne verschobenen Akzent, allenfalls rollte sie das R, wie es seit altersher in Vorpommern gerollt wird. Ich fand sie auf der Orgelbank, die, auf neuschwedisches Maß gebracht, mitsamt dem Spieltisch winzig anmutete im Vergleich zu den ragenden Orgelpfeifen. Sie präludierte mit Händen und Füßen, als wäre ihr das Orgelspiel wie Einund Ausatmen gegeben worden; all das hatte mit drei Buchstaben die Zauberformel DNS möglich gemacht.
Während sie Jesu meine Freude variierte, hörte ich Damroka berichten: Übrigens haben wir diese grauslige Mumie und ihren mumifizierten Gnom nicht etwa eliminiert. Du findest beide im hintersten Winkel der Orgelempore, dort kaum beachtet mittlerweile. Wie du weißt, kommen wir ohne Gewalt aus. Wir sind für langsame, schmerzlose Übergänge. Vernünftige Einsicht leitet unser Handeln, weshalb wir das Anbeten der beiden Mumien nicht etwa verboten haben, sondern dulden und an bestimmten Tagen fördern sogar. Zum Beispiel aus Anlaß des Großen Knalls. Jahr für Jahr feiern wir ihn, indem wir die Mumien, wie zum Tag unserer Anlandung auch, den Rattenvölkern zur Anbetung freigeben. Von dieser letzten menschlichen Körperlichkeit geht mittlerweile abschreckende Wirkung aus, die als späte Erkenntnis nützlich ist. Seht, sage ich immer wieder von der Kanzel herab: Nie wieder soll es so werden. Seht, wohin es die Menschen gebracht haben. Diese Mumien sollten uns Mahnung und Warnung zugleich sein. Seht, wie schrecklich!
Und auch auf mich sprach die gelockte Menschenrättin aufklärend ein. Sie sagte, ohne mit Händen und Füßen vom Orgelspiel zu lassen: Indem wir den Anteil Ratte in uns bejahen, werden wir wahrhaft human. Und weil wir unseres menschlichen Anteils bewußt sind, ist uns das Rattige wesentlich geworden. Ursprünglich Menschenwerk zwar, weisen wir über unsere Schöpfer hinaus, denen rückblickend unser Mitgefühl gilt. Sie scheiterten an sich, während wir, dank des Rattigen in uns, zukünftig sind.
Sie gab das Orgelspiel auf, drehte mir die Rattenschnauze aber auch die beiderseits fallende Lockenpracht zu und sagte: Ein Grund mehr, den Rattenvölkern zwar mit Anteilnahme, aber auch distanziert zuzusehen, wenn sie in Gruppen jenen letzten Satelliten auf seiner Umlaufbahn anbeten, in dem du, mein Liebling, den ich mir immer wieder nahbei heranträume, für ewig aufgehoben bist. Wir hören dein Räsonieren. Deine Klagen und Forderungen sind uns bekannt. Dein Geschrei Erde kommen! Antworten, Erde! verführt uns gelegentlich, Witze auf deine Kosten zu machen. Dein abgekapselter Traum, nach dem es die Menschen tätig und voller Ideen weiterhin gibt, teilt sich uns mit. Wir verstehen ihn gut, deinen Zorn. Begreiflich, deine verspätete Reue. Wenn du um deine Damroka trauerst, rührt es mich an.
Mir war, als hätte ich meinen Kopf und mit ihm all meine Einsamkeit in ihr Gelöck betten dürfen, einzig ihr Gelächter verstörte. Immer noch auf der Orgelbank, doch die Hände im Schoß nun, sagte sie: Manchmal lächeln wir allerdings, wenn du immer wieder behauptest, nur deiner humanen Männlichkeit und deinen öden Weibergeschichten komme Wirklichkeit zu, während ich, immerhin deine Geliebte, und alle Schwedischmanipulierten, zudem die uns anvertrauten Rattenvölker dein Traumprodukt seien, austauschbar gegen andere Träume.
Streng plötzlich hörte ich sie: Das muß aufhören! Ausflüchte dulden wir nicht. Es könnte uns einfallen, dich zu vergessen, dich nicht mehr komisch zu finden, anderes als dich, säugende Schmeißfliegen etwa zu träumen. Ich hoffe, du verstehst meinen kleinen Hinweis.
Wir stritten. Ich rief: Die gibt es überhaupt nicht, deine dämlichen Schmeißfliegen!
Sie hielt gegen: Dich wird es demnächst nicht mehr geben! Ich lenkte ein: Ist

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