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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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ja gut, Damroka. Laß bitte diese Drohungen.
Sie blieb streng und zog dabei Orgelregister: Eine Warnung nur, liebster Freund, damit dir klar wird, in welches Loch du fallen könntest, falls ich...
Der Rest ging im Brausen der Orgel unter. Leise, vielleicht zu leise aber sie hörte mich dennoch sagte ich: Nein, bitte, nein. Ich finde dich immer noch schön. Mehr noch: ich träume dich körperlich, mit Haut und Haar sozusagen. Richtig eingesponnen bin ich und verschmust, auch wenn ihr Nippels etwas zu kleinwüchsig geraten seid. Ich gewöhne mich, passe mich an. Sogar dein rattiges Antlitz kann meine Liebe nicht schrekken. Wir sollten näher, noch näher zusammen, damit wir ein Fleisch, wenn nur die Orgelbank nicht so winzig und dein Löchlein so eng...
So hörte ich mich laut über Bach oder Buxtehude, über alle Register hinweg: Ja, dich, nur noch dich will ich und will ich! Liebe, nie habe ich sie so mächtig empfunden. Alles mögliche, dein Gespons, dein Narr, dein himmlischer Bräutigam will ich sein. Zum anknabbern, auffressen, mit Haut und Haar auffressen find ich, hab ich dich lieb ... Aber hör endlich auf, Liebste, mir mein bißchen armselige Wirklichkeit abzusprechen. Die gehört mir. Von der lasse ich nicht, verstanden! Da kannst du schöntun, so rattig du willst. Kaum erwacht, werde ich den Drehknopf bedienen und mich durchs Dritte Programm bestätigen lassen. Das weiß immer Rat, gibt Trost und baut auf Vernunft. Das sagt voraus, was morgen in Brüssel beschlossen wird. Das macht Hoffnung, wenn auch nur klitzekleine, auf demnächst beginnende Dauergespräche. Immerhin läuft hier und da wieder was. Die Zinsen werden gesenkt. Der Papst hat Reisepläne zuhauf. Sommerschlußverkauf wird die Wirtschaft beleben. Und seinen Geburtstag will unser Herr Matzerath feiern, sechzig wird er; ein Fest, zu dem wir, Damroka, ich bitte dich, herzlich geladen sind. Doch du bleibst ungerührt, als sei das alles der Papst, Brüssel, der SommerschlußverkaufEinbildung nur, bloße Fiktion...
Ihr Orgelspiel brach ab. Kein Nachhall. Ich fürchtete mich. Weder sie noch die winzige Orgelbank waren zu ertasten. Wieder in meiner Raumkapsel angeschnallt, hörte ich sie. Schmerzhaft entrückt füllte ihr Bild den Monitor. Mein Stammeln: Aber ich wollte doch nur ein paar mittelfristige Daten...
Dieses gerollte R. Ihre in Vorpommern geprägte Stimme: Red hier nicht Kraut und Rüben. Langsam solltest du wissen, daß es euch, samt Drittem Programm, nur noch in unseren Träumen gibt. Oderbei aller Liebe noch deutlicher: solange wir und die uns anvertrauten Rattenvölker bereit sind, uns an euch, die gottähnlichen Selbstvernichter zu erinnern, gibt es menschliches Getriebe, also auch dich als immer schwächer werdenden Reflex. Übrigens bedauern wir unseren Gedächtnisschwund, dieses Verblassen einst deutlicher Bilder. Wir gehen dagegen an, sind nicht untätig. Vorerst im Artushof, später im Rathaus werden wir ein Museum errichten, in dem Überreste aus der Humanzeit zur belehrenden Ansicht gebracht werden sollen. Noch immer gibt euer Müll viel her. Auch sonst blieb in Kellern, Gewölben einiges ansehnlich: Schreibmaschinen, Telefonapparate, eine Filmkamera, ein heiler Volkswagen, Ersatzteile und Zubehör, ein leidlich erhaltener Bechsteinflügel sogar. Auch soll jene uralte Frau mit ihrem Knirps nicht länger auf der Orgelempore verstauben, sondern als Stück unserer Sammlung endlich zur Ruhe kommen. Und selbstverständlich werden wir, wie schon die Rattenvölker zuvor, alles tun, um die Bausubstanz der Stadt Danzig-GdaDsk zu erhalten. Weiß Gott: Mühe und Arbeit genug.
Nach einigem Betteln und Schönreden, bei dem Zeit unermeßlich verging, durfte ich mich wieder abschnallen und ihr nah sein. Unter ihrer Obhut sah ich das Museum menschlicher Spätgeschichte. Und ich sah Gruppen der Rattenvölker, geführt von belehrenden Watsoncricks, Wendeltreppen hinauf, die Rathausräume durcheilen. Sichtliche Ordnung herrschte. Alles an seinem Platz. Und was gab es nicht alles zu sehen! Schau nur! rief meine Geliebte, die, wie zur Feier, unterm Lockenfall meiner Damroka Bernsteinkette trug, schau nur, was alles von euch geblieben ist.
Einen Zahnarztstuhl sah ich, daneben entsprechendes Werkzeug. Kleincomputer neben einer altmodischen Kaufmannswaage. Viel Kunst, gotische Stücke darunter. Man stelle sich vor: Porzellan! Aber auch leichte und schwere Waffen: Flugabwehrraketen! Daneben die Spielzeugabteilung einladend aufgebaut und von einzelnen und

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