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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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vorzeigte, mit Blockschrift säuberlich ausgefüllt: nach Polen will er, nach Polen.
Wird auch Zeit, sagte ich mir beim Erwachen, denn zwischen Ramkau und Matern beginnen die Kaschuben, das Fest vorzubereiten. Es soll die Zahl hundertundsieben aus Blumen gebunden werden.
    Am Ende, als es nichts mehr zu lachen gab, retteten sich die Politiker in übereinstimmendes Grinsen.
Ohne Motiv, denn Komisches lag nicht vor, begannen sie, weltweit zu feixen.
Einbrüche in beherrschte Gesichtszüge.
Kein verlegenes Lächeln.
Finales Grimassieren nur noch.
Man hielt das dennoch für Heiterkeit und fotografierte das Grinsen und Feixen der übereinstimmenden Politiker. Fotos vom letzten Gipfeltreffen waren Zeugnisse ansteckend guter Laune.
Sie werden schon Gründe haben, den Ernst entgleisen zu lassen, sagte man sich.
Da bis zum Schluß getagt wurde, hielt sich Humor bis zum Schluß.
    D ASDRITTEKAPITEL, indem sich Wunder
ereignen, Hänselund Gretelstädtisch seinwolen, unser Herr Matzerath an der Vernunft zweifelt, fünf Hängematten belegt sind, das Dritte Programm schweigen muß,inStege Ausverkauf und inPolen Mangelherrschen, eine Filmschauspielerin geheiligtwidund Truthähne Geschichte machen.
    Meine Weihnachtsratte mag das nicht, wenn ich dem Maler Malskat nachlaufe. Beunruhigt wittert sie, sobald ich neben dem Käfig Prozeßberichte, Glossen ausbreite, etwa unter dem Titel: »Ein ostpreußischer Eulenspiegel«. Es stört sie auf, wenn ich Pressefotos von Malskat mit meiner Vorstellung von Malskat vergleiche: Durch Jahrhunderte gewitzt sieht er aus und könnte zu Schnabelschuhen, geschlitzten Hosen und Pluderärmeln anstelle seiner verfilzten Wollmütze die zwiefach gezipfelte Schellenkappe tragen.
Dazu läuft die Sendung Medienreport. Wir hören Neues vom Videomarkt, den nicht nur unser Herr Matzerath zukunftsträchtig nennt. Am Käfig meiner Weihnachtsratte vorbei finde ich mit ausgestrecktem Arm den Drehknopf, der mitten im Satz das Dritte Programm aus dem Raum nimmt; die Suche nach Malskat hinter bedrucktem Papier duldet kein Nebengeräusch. Das muß meine Ratte begreifen, so gerne sie Neues aus der Wissenschaft oder die Wasserstandsmeldungen von Elbe und Saale hört.
Weder lustige noch böse Streiche. Kein schelliger Narr. Ich stelle fest, daß Malskats Nase, deren Wurzel mit ungleichem Schwung seinen Augenbrauen Ausdruck gibt, als sehe er immerfort Wunder, auf Malskats Wandbildern zeichenhaft wiederkehrt, so daß sie im Dom zu Schleswig wie in Lübecks Marienkirche engelhaften Jünglingen und geheiligten Greisen zu Gesicht steht. Sie alle sehen mit schmerzlich geweiteten Augen mehr, als in biblischen Zeiten zu sehen war. Sie sind begabt, nicht nur kommendes Heil, sondern auch bevorstehendes Grauen zu wittern, dank jenes Riechers, der schon Anfang der fünfziger Jahre in einer Doktorarbeit vermerkt wurde, die der Malskatschen Gotik aufsaß: »Außergewöhnlich sind die langen Nasen der Figuren im Langschiff und Chor. Sie bekräftigen den seherischen Blick der Heiligen. Es spricht aus ihnen eine gewisse nordische Kühnheit, die auf anderen hochgotischen Wandbildern vergeblich gesucht wird, ausgenommen im Dom zu Schleswig, wo der Salvator Mundi und etliche Motive der Strebpfeilerausmalungen anhand der Nasengestaltung vermuten lassen, daß die Werkstatt des Lübecker Langschiffund Chormeisters auch hier tätig gewesen ist.« Ich ahne, weshalb meine Weihnachtsratte unruhig wittert und sogar Sonnenblumenkerne mißachtet, sobald ich mich über die vergilbten Fünfziger hermache. Wie ohne Erinnerung, einzig von heute soll ich sein und mich immerfort fragen, was morgen schon Schlimmes geschehen könnte.
Gut, Rättlein, sage ich, das kommt noch, unser Konkurs. Doch bevor ich Bilanz ziehe, soll herausgefunden werden, weshalb Malskats Begabung, trotz schlechter Bezahlung fürwahr gotisch zu sein, damals zeitgemäß war und einem Grundbedürfnis, der allgemeinen Gestimmtheit zur Fälschung entsprach; wie Krähen im toten Wald, einmal muß der Schwindel doch auffliegen, so hoch er noch immer im Kurs steht. Ach, nicht kurzbeinig, gut zu Fuß schritten die Lügen aus! Denn die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg taten in Deutschland so, als wäre ihren Vorjahren ein böser Traum widerfahren, etwas Unwirkliches, das man aussparen müsse, damit es nicht Alpträume mache. Entlastende Träume waren gefragt. Ich erinnere mich: Ein Heiler zog damals durchs Land, der wundertätige Stanniolkugeln verkaufte, wirksam gegen allerlei Krankheit, worauf

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