Die Rättin
auseinanderfiel. Er war nur noch uneigentlich da. Verloren im Gedränge seiner Befindlichkeiten. Bei allem dienstwilligen Eifer krümelte er. Zudem sah es aus, als überschwemme uferlose Wehmut die Humangesellschaft, als gefalle es ihr, liebgewonnenen Dingen Abschiedsblicke zuzuwerfen; auch was nicht faßlich und deshalb in Begriffe gekleidet war, Gott etwa, die Freiheit oder was sie für Fortschritt, Vernunft hielt, wurde verabschiedet. So lag auch in den Sicherheitszentren jene wehmütige Stimmung über jedem Gerät.
Deshalb schien uns der Tag des Herrn geeignet. Deshalb geschah es an einem frühsommerlichen Sonntag. Im Juni während der sportlichen Hochsaison. Wir nutzten, wie gewohnt, die Kanalisation, fanden durch die im Fundament der Großbunker verlegten Versorgungswege, nahmen die Zentralcomputer von unten an, hatten mit dem Leichtmetall keine Mühe, kannten uns aus, wußten auf ersten Blick, wo was zu wem, fingerten mit winzigen Niedlichkeiten, gaben an entscheidender Stelle unseren Code ein, der sogleich alle angeschlossenen Sicherheitssysteme infizierte, ließen aber zum Schein die üblichen Kontrollprogramme laufen und begannen in beiden Schaltstellen, sobald hüben wie drüben unser Codewort »Noah« alle Impulse freigesetzt hatte, gleichzeitig zeitverschoben mit dem Countdown.
Wir, sagte die Rättin, lösten nur aus, was der Mensch sich zugedacht hatte: Vorrat genug, um, mit seines rächenden Gottes Wort, alles Fleisch zu verderben, darin ein lebendiger Odem ist. Und zwar immer wieder und noch und noch. So gründlich wollten die Humanen sich und alle sonstige Kreatur vertilgen. Schueles por Erresch! Feierabend auf Erden! rief sie.
Da wir das vorgefundene Programm annähernd lautlos umsetzten und der anhaltende Sonntag ohnehin wenig Aufmerksamkeit zuließ, blieben wir unerkannt, weshalb es notwendig wurde, Hinweise zu geben. Wir verließen die Gehäuse und plazierten unsere Visitenkarte. Ein riskantes Unternehmen, das nur zufällig glückte. Jetzt erst erlaubten die bald gefundenen Fremdkörper Vermutungen, dann Erkenntnis: Das Ende aller Sonntage.
Seitdem spricht unsereins vom Großen Knall. Neinnein! rief die Rättin. Wir bereuen nichts. Es mußte so kommen. Zu oft vergeblich haben wir sie gewarnt. Unsere Umzüge am hellichten Tag waren deutlich genug. Und doch geschah nichts, was unsere Sorge hätte mindern können. Kaum nennenswert oder lächerlich nur waren jene hysterischen Reaktionen, die kurz vor dem letzten aller Sonntage als Meldungen umliefen. Es hieß, man habe über der westlichen Ostsee lockere Wolkenverbände in bildhafter Formation gesehen. Es seien nicht einzelne Wolken von Nordwest nach Südost gezogen, vielmehr habe ein nichtendenwollender Zug von hunderttausend und mehr Kleinwolken den Himmel über Südschweden, dann über Gotland bezogen: laufende Wolkenratten, wolkig laufende Rattenvölker, nein, keine Schäfchenwolken, eindeutig Wolken in grauer Rattengestalt, gestreckt, eilig, die langen Schwänze wie Bindestriche zwischen Ratte und Ratte gesetzt. Das alles, dieses erschreckende Himmelszeichen, sei von dänischen Inseln, von Schiffen und von den Ufern des Baltischen Meeres gesichtet, fotografiert, zudem gefilmt und gedeutet worden als Gottes warnender Fingerzeig. Sogar Atheisten hätten Typisch Apokalypse! gerufen.
Glaub das nicht, Freundchen. Zwar war uns vieles möglich, zuletzt die Aufhebung der Sonntagsruhe durch die humanen Programme »Frieden machen« und »Völkerfriede«, aber Wolkenbilder produzieren, uns selbst zum Himmelszeichen erheben, das konnten wir nicht.
Widerspruch, Rättin! Noch gibt es dich in deinem weißlackierten Käfig auf Sägespanstreu, die ich morgen erneuern werde, damit es dir, meiner sich auswachsenden Weihnachtsratte, auch zukünftig wohlergehe; und mich gibt es, mit Zetteln dir danebengesetzt. Unsere Pläne bedrängen den Kalender. Pünktlich soll das Schiff in Visby anlegen. Fest steht die Reise der Punks nach Hameln. Wir werden unserem Herrn Matzerath, sobald er mit gültigem Visum versehen nach Polen aufbricht, gute Fahrt wünschen, ihn aber vorher bitten, uns weitere Geschenke für seine Großmutter zu nennen, die im Gepäckraum seines Mercedes verstaut werden sollen. Zwar sehen wir ihn Abschied nehmen von seiner Goldmünzensammlung, die vor Reisebeginn in einen Banktresor umziehen wird wir sehen ihn Mansfeldsche Doppeldukaten, den halben Louisdor, das Rubelstück aus der Zeit des Zweiten Nikolaus, ein Händchen voll sächsischer und
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